Zehntausende Menschen in Baden-Württemberg haben keine eigene Wohnung, sie leben in sozialen Einrichtungen oder auf der Straße (Symbolbild). Foto: dpa/Marijan Murat

Dass Wohnen im Süden Deutschlands immer teurer wird, ist bekannt. Doch es geht ein bisschen unter, dass unter den stetig steigenden Mietpreisen auch diejenigen leiden, die gar keine Wohnung haben. Unklar ist allerdings, um wie viele Menschen es dabei überhaupt geht.

Stuttgart - Sie kommen aus dem Gefängnis, sie kämpfen gegen ihre Drogensucht an oder sind hoch verschuldet, einigen wurde die Wohnungen gepfändet, oder der Eigenbedarf des Vermieters treibt sie auf die Straße: Zehntausende Menschen in Baden-Württemberg haben keine eigene Wohnung, sie leben in sozialen Einrichtungen oder auf der Straße. Allerdings ist weder bekannt, wie groß die Gruppe der Wohnungslosen ist oder in welchen Umständen Betroffene leben, noch wissen die Behörden, wie viel Betreuung oder Wohnraum tatsächlich gebraucht wird. „Wir kennen das wahre Ausmaß der Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg nicht“, sagt Heiner Heizmann vom Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Und die steigenden Mieten treiben immer mehr Menschen in diese Not.“

2019: Mehr als 12 200 Menschen brauchen Hilfe

Konkretere Zahlen zu den Betroffenen lägen seit sechs Jahren nicht mehr vor und seien mit bundesweitem Fokus erst für das Jahr 2022 geplant, bemängelt die Liga der freien Wohlfahrtspflege, in der sich auch die Caritas engagiert. Der Dachverband der baden-württembergischen Sozial- und Wohlfahrtsverbände rechnet damit, dass die Zahl der Menschen in Wohnungsnot deutlich gestiegen ist.

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Als wohnungslos gilt allgemein, wer nicht über mietvertraglich abgesicherten Wohnraum oder Wohneigentum verfügt. In den Diensten und Einrichtungen der öffentlichen und der freien Wohlfahrtspflege haben nach der Stichtagserhebung der Liga im Jahr 2019 mehr als 12 200 Menschen um Hilfe gebeten - das seien rund 120 mehr als im Jahr zuvor, sagte Sabine Oswald vom Paritätischen Baden-Württemberg. Dabei wurden die Menschen gezählt, die sich an einem bestimmten Tag in einer sozialen Hilfseinrichtung der Liga aufhielten, die vor längstens 30 Tagen Kontakt zur Einrichtung gesucht hatten oder die am Stichtag noch betreut wurden.

Nach der jüngsten landesweiten Erhebung waren 2014 zudem rund 22 000 Menschen in sogenannter ordnungsrechtlicher Unterbringung durch den Staat. Denn Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, unfreiwillig obdachlose Menschen unterzubringen. Sie bieten eine Bandbreite an von normalen Wohnungen bis zum Mehrbettzimmer in Sammelunterkünften. Außerdem leben nach Schätzungen der Liga Tausende auf der Straße, manche schlafen bei Verwandten, Freunden oder im Wohnwagen.

Kein bezahlbarer Wohnraum

Das Problem: „Die Zahlen sind alt. Aber nur, wenn wir ein präzises Bild der Wohnungsnot haben, können wir auch Antworten auf die zahlreichen Probleme finden“, sagt Heizmann. Eine dieser Antworten: mehr Sozialwohnungen. „Baden-Württemberg hat jetzt bereits einen Bedarf von 500 000 solcher Wohnungen“, kritisiert Oswald. „Es gibt keine Wohnungen. Und wenn es welche gibt, sind sie für die Betroffenen zu teuer.“ Dabei sei bezahlbarer Wohnraum das wirksamste Mittel gegen Wohnungslosigkeit.

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So treiben die steigenden Mietpreise auch die Zahl der Wohnungslosen sowohl in den Städten als auch auf dem Land in die Höhe. „In Ballungsräumen sind günstige Wohnungen insbesondere für die Zielgruppe der wohnungslosen Menschen so gut wie nicht vorhanden“, beklagt die Liga in Stuttgart weiter. Betroffene konkurrierten zudem mit anderen benachteiligten Gruppen und mittlerweile auch niedrigen und mittleren Einkommen um die restlichen bezahlbaren Wohnungen. „Und sie werden in der Regel keinen Wohnraum finden“, warnte die Liga bei der Veröffentlichung ihrer jüngsten Zahlen.

In der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg sind die elf Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württembergs zusammengeschlossen. Landesweit gehören ihnen mehr als 320 000 Mitarbeiter sowie 300 000 ehrenamtlich Tätige an.