Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters zu sehen. Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Im Wirecard-Skandal gerät nach der Bafin auch das Finanzministerium unter Druck. Die Schlüsselfrage: Gab es Fehler in einer Behörde - oder ist das ganze System der Unternehmensaufsicht schlecht organisiert?

Berlin - Im Bilanzskandal um den mutmaßlichen Milliardenbetrug beim Dax-Konzern Wirecard nimmt nun der Bundesrechnungshof die Finanzaufsicht Bafin und das Bundesfinanzministerium ins Visier. „Wir werden das System der Aufsicht - Struktur und Risikomanagement am Beispiel Wirecard - untersuchen und warum die Bafin offenbar die Anhaltspunkte nicht aufgegriffen hat“, sagte der Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller dem „Spiegel“ (Donnerstag). „Wir werden dabei auch prüfen, wie das Bundesfinanzministerium und die Bafin mit den Vorwürfen falscher Bilanzen sowie mit den Berichten der Wirtschaftsprüfer umgegangen sind.“

Für die Bafin ist dies bereits die zweite angekündigte Überprüfung möglicher Mängel und Fehler im Fall Wirecard - zuvor hatte schon die EU-Kommission die europäische Finanzaufsicht Esma auf den Fall angesetzt. „Jahrelang wurden Hinweise gegeben, unter anderem durch journalistische Recherchen, und es stellt sich die Frage, ob die Bafin da ausreichend hingeschaut hat“, sagte Scheller dem „Spiegel“. „Hier sind bedeutende Fragen unbeantwortet – und daher ist auch der Bundesrechnungshof gefordert. Es gibt offensichtlich Lücken im Aufsichtssystem.“

Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte seinerseits bereits angekündigt, die Aufsicht verbessern zu wollen, nun muss sich auch sein Ministerium Fragen stellen.

Wirecard hatte im Juni mutmaßliche Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen mehrere ehemalige und aktive Manager, inklusive des vom Aufsichtsrat nachträglich gefeuerten Ex-Vorstandschefs Markus Braun. Eine zweite Schlüsselfigur hat sich mit unbekanntem Aufenthalt mutmaßlich nach Übersee abgesetzt: der ehemalige Vertriebsvorstand Jan Marsalek. Die britische „Financial Times“ hatte seit 2015 über Unstimmigkeiten in den Bilanzen des Zahldienstleisters berichtet.

Die Bafin selbst hat mehrfach darauf hingewiesen, dass sie nicht die volle Aufsicht über Wirecard hatte, weil lediglich die Tochterbank des Skandalunternehmens aus dem Münchner Vorort Aschheim als Finanzdienstleister eingestuft war, nicht jedoch der gesamte Konzern. Und für die Kontrolle von Unternehmensbilanzen war nach bisheriger Rechtslage in erster Linie auch nicht die Bafin zuständig, sondern die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR).

Nach Schellers Worten war die grundsätzliche Problemstellung, dass Wirecard sowohl ein Fintech-Unternehmen als auch eine Bank sei, „allen bekannt“. „Hierauf hätte man das Aufsichtssystem ausrichten sollen und aus heutiger Sicht auch müssen.“

Kredit in Höhe von 35 Millionen Euro

Ebenfalls in der Kritik ist die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Scheinumsätze bereits seit Jahren in die Bilanzen einflossen.

Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun nutzte noch zu Jahresbeginn die konzerneigene Bank, um sich einen Kredit in Höhe von 35 Millionen Euro zu verschaffen, wie die Londoner „Financial Times“ meldete. Damit wollte Braun einen Zwangsverkauf von Wirecard-Aktien verhindern, die er laut Bericht bei der Deutschen Bank als Sicherheit für einen 150 Millionen Euro-Kredit hinterlegt hatte. Das Darlehen sei aufgenommen worden, „um eine Verwertung von Aktien durch eine (dritte) Bank zu vermeiden“, teilte eine Anwältin von Braun auf Anfrage mit.

Der Kredit im eigenen Haus wurde dann im März zurückgezahlt. Laut Anwältin war das Darlehen mit einem Zinssatz von 12,55 Prozent versehen - Braun zahlte demnach für den Zeitraum von zweieinhalb Monaten 963 909,72 Euro Zinsen. Laut „FT“ prüft die Bafin, ob der Kredit bei der eigenen Firma gegen Vorschriften verstieß. Der rechtliche Hintergrund: Vorstände dürfen die eigenen Unternehmen nicht nutzen, um sich private Vorteile zu verschaffen.

Verbesserungsbedarf bei Aufsicht und Bilanzprüfung sieht auch das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. Ein Vorschlag des IDW: Unternehmensvorstände sollten gesetzlich verpflichtet werden, ein angemessenes internes Kontrollsystem für die Rechtstreue ihrer Firmen einzurichten. Ein weiterer Vorschlag: Die Bilanzprüfer sollten nach Hinweisen auf Manipulationen bei Unternehmen öffentlichen Interesses verstärkt „forensische Methoden“ einsetzen - also Verdachtsmomenten gezielt nachgehen.