Nicht er, sondern andere hätten gestohlen und betrogen, sagt Markus Braun vor Gericht. Foto: dpa/Angelika Warmuth

Wirecard-Prozess: Der Ex-Chef des Skandalkonzerns sagt aus. Betrogen und Geld geraubt hätte nicht er, sondern andere.

Markus Braun ist besorgt. „Ist die Akustik gut?“, fragt der Ex-Wirecard-Chef und Hauptangeklagte des Betrugsprozesses zu Beginn seiner Aussage. Der 53-jährige Wiener will, dass man ihn gut versteht. Denn was er zu sagen hat, zeichnet ein ganz anderes Bild des Falls, als das bisher vor Gericht enthüllte. Ermittler und der mitangeklagte, geständige Kronzeuge Oliver Bellenhaus haben in den zwölf vorangegangenen Prozesstagen eine Betrügerbande unter Brauns Führung für Untreue in dreistelliger Millionenhöhe, Betrug und kriminelle Marktmanipulation verantwortlich gemacht. Bei Braun klingt es anders. „Ich hatte keinerlei Kenntnis von Fälschungen und Veruntreuungen“, sagt der Angeklagte und sieht sich als Opfer.

Sinn für Theatralisches kann man ihm nicht absprechen

Erstmals spricht Braun selbst am Landgericht München, wo der spektakuläre Fall verhandelt wird. Nur Dinge, an die er sich verlässlich erinnern könne, würde er jetzt erzählen, verspricht der langsam und bedacht redende Mann im schwarzem Rollkragenpullover. Sinn für Theatralisches kann man ihm nicht absprechen, als er auf das Ende des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München zu sprechen kommt.

„Es war ein Tag des tiefen Bedauerns, ein Tag des Schmerzes,“, sagt Braun und bekundet, mit Aktionären wie mit den rund 6000 Beschäftigten seines untergegangenen Konzerns fühlen zu können. Noch wenige Tage vor der Pleite im Juni 2020 habe er an voll existentes und nicht nur vorgegaukeltes Geschäft sowie Guthaben auf Wirecard-Konten im Umfang von 1,9 Milliarden Euro geglaubt. „Ich hatte nie einen Zweifel, dass das Geld da ist“ versichert er und spricht von einem Schockerlebnis.

Das dürften auch viele der an diesem Tag im vollen Gerichtssaal anwesenden rund 150 Personen so sehen. Denn unter ihnen sind einige Ex-Aktionäre, die viel Geld mit der Pleitefirma verloren haben. Ausgegangen seien alle Untaten vom Verantwortungsbereich Jan Marsaleks, des flüchtigen Ex-Vertriebschefs von Wirecard. Auch Oliver Bellenhaus sieht Braun als dessen Komplizen. Viel über den Kronzeugen sagen könne er aber nicht, weil er kaum einmal mit ihm gesprochen habe, versichert Braun. Bellenhaus hatte früher im Prozess von zwei Gesprächen mit Braun berichtet und diesen schwer beschuldigt. „Das Gespräch hat es nie gegeben“, sagt Braun.

„Ich habe mich aus dem Tagesgeschäft rausgezogen“

Mit seinem Landsmann Marsalek wiederum habe ihn anfangs persönliche Freundschaft verbunden, so Braun. In technischen Dingen sehr talentiert und ein Glücksfall für Wirecard sei der heute Flüchtige gewesen.

Das Geschäft, das Wirecard über sogenannte Drittpartner in Asien zumindest auf dem Papier gemacht hat, sei „ganz klar“ in Marsaleks Verantwortung gefallen. Es ist das Geschäft, von dem Ermittler glauben beweisen zu können, dass es nie existiert hat. Immer weiter nähert sich Brauns Wirecard-Geschichte dem Zeitraum der mutmaßlichen Betrügereien an. Da spricht er einen wichtigen Satz. „Ich habe mich aus dem Tagesgeschäft rausgezogen.“ Als es nach Aussage des Kronzeugen und der Anklageschrift begann, dass Umsätze und Gewinne frei erfunden wurden, will Braun also operativ keine Detailkenntnisse mehr gehabt haben.

„Ich habe ihn gefragt, ob er den Verstand verloren hat“

„Wir haben nichts zu verbergen“, habe er damals für eine Sonderprüfung geworben und sich gegen Bedenken von Marsalek durchgesetzt. Erst im Verlauf der Sonderprüfung durch KPMG-Wirtschaftsprüfer will Braun erkannt haben, dass es in Marsaleks Vorstandsressort ernste Probleme gibt. Das sei der Zeitpunkt gewesen, als dieser ihm Anfang 2020 eröffnet hatte, schon Monate zuvor im Geheimen die Treuhänderbanken gewechselt zu haben, wo angeblich 1,9 Milliarden Euro zu Verfügung von Wirecard hätten liegen sollen.

„Ich habe ihn gefragt, ob er den Verstand verloren hat“, erzählt Braun. Richter Markus Födisch veranlasst das zu Nachfragen, die Braun in Erklärungsnot bringen. Warum er es dann trotz Bedenken hinsichtlich Marsalek es diesem überlassen habe, KPMG Auskünfte zur Sonderprüfung zu liefern, will Födisch wissen. Eine überzeugende Antwort liefert Braun nicht. „Vieles von dem, was sich damals dargestellt hat, macht heute keinen Sinn“, sagt Braun an einer Stelle und klingt dabei alles andere als überzeugend. In den nächsten Verhandlungstagen will der Richter bei Braun weiter nachbohren.