Willkommen in „Stuttyard“ – Unbekannte haben ein Schild am Stuttgarter Hauptbahnhof übermalt. Foto: imago images/Arnulf Hettrich

Für die einen ist es Kunst, für die anderen eine illegale Farbschmiererei – seit Monaten ist das offizielle Schild am Stuttgarter Hauptbahnhof übermalt. Jetzt will die Deutsche Bahn durchgreifen.

Stuttgart - Wer mit dem Zug nach Stuttgart reist und kurz vor der Einfahrt in den Hauptbahnhof aus dem Fenster schaut, hat es womöglich schon entdeckt: Das große Graffiti mit dem Schriftzug „Stuttyard“, das seit einigen Monaten am Gleisvorfeld prangt – und Stuttgarts offizielles Bahnhofsschild überdeckt. Die in schwarzer Farbe aufgesprühten, fetten Großbuchstaben erwecken eher eine grobe Anmutung von der Schrift eines echten Schilds der Deutschen Bahn. Vollendet wird das Werk in typischer Graffiti-Schrift mit den Worten: „Das Writing Paradise“, auf deutsch also das „Schreibparadies“. Stuttgarts „neues“ Bahnhofsschild wirft viele Fragen auf – und ruft bei der Bahn auf Nachfrage großen Ärger hervor.

Was steckt hinter dem Graffiti?

Was die illegale Aufschrift bedeuten soll, fragen wir Patrick Klein, der so etwas wie der Graffiti-Beauftragte Stuttgarts ist und seit mehr als zehn Jahren die Gestaltungsagentur graffiti-stuttgart.de führt. Auf der Suche nach einer Erklärung wird klar: Nicht alle Sprayer wollen eine Botschaft verbreiten. „Da hat sich offensichtlich einer einen Spaß erlaubt“, sagt der Graffiti-Experte. Es handle sich um ein Wortspiel aus dem Stadtnamen Stuttgart und dem englischen Begriff „Yard“, der im Deutschen vielseitig als „Hof“ oder auch als „Abstellgleis“ übersetzt werden könne. Und ein „Schreibparadies“ sei die Kesselstadt eben für Graffiti-Künstler – nicht zuletzt durch die vielen Lärmschutzwände an den Bundesstraßen und Bahnstrecken der Stadt. Rückschlüsse auf den Verfasser der Botschaft liefere das Werk jedenfalls nicht: „Es muss nicht einmal aus der Stuttgarter Sprayer-Szene kommen, es kann jeder gewesen sein“, sagt Klein.

So reagiert die Deutsche Bahn

Die Deutsche Bahn sieht in dem umgewandelten Bahnhofsschild nichts anderes als eine Farbschmiererei.„Das Graffiti an der DB-Anlage ist weder ein Kavaliersdelikt noch Kunst sondern schlichtweg illegal und Sachbeschädigung“, macht ein Sprecher der Bahn in Stuttgart deutlich. Den Tätern illegaler Graffitis sei meist überhaupt nicht bewusst, dass sie sich strafbar machen. „Damit in diesem Fall dem illegalen Sprayer nicht weiter zu Ruhm verholfen wird, werden wir die schnelle Beseitigung veranlassen.“ Der Sprecher fügt hinzu, dass die Bahn in der Sache eng mit der Bundespolizei kooperiere und Rechtsmittel überprüfen wolle. Jahr für Jahr gibt die Bahn viele Millionen Euro aus, um Graffiti-Beschädigungen zu beseitigen.

Graffiti-Experte: „Bahn sollte Ball flach halten“

„Die Bahn sollte den Ball flach halten“, sagt Graffiti-Experte Klein. „Fahren Sie hundert Meter weiter, im Bonatzbau hat sich die Bahn mit Graffiti-Sprayern gebrüstet.“ Der Graffiti-Experte verweist auf das Kunstprojekt Wände/Walls in Stuttgart, bei dem mehr als 70 Künstlerinnen und Künstler der Stuttgarter Sprayerszene den legendären Bonatzbau in eine Graffiti-Galerie verwandelt haben. Knallbunt, amüsant, teils beunruhigend und düster, aber immer innovativ nutzen sie die Leinwände und Wandflächen im lang gezogenen und denkmalgeschützten Hauptgebäude aus. Die Aktion war ein riesiger Erfolg.

An Graffitis scheiden sich die Geister

An Graffitis scheiden sich eben die Geister: Einige sehen darin Kunst, mit der meist Jugendliche imponieren und ihr Revier abstecken wollen. Dagegen sind für Hausbesitzer Graffitis Vandalismus, verbunden mit Ärger und hohen Kosten für die Beseitigung. Klein ist überzeugt, dass die Wandmalereien mittlerweile auch bei Menschen im „schwäbischen Sauberländle“ Gefallen finden. Der Graffiti-Experte bietet auch Seminare an, besprüht mit Kindern und Jugendlichen legal Flächen und führt Auftragsarbeiten aus, etwa indem er Stromhäuschen bunt gestaltet oder Garagentore kunstvoll bemalt. Grundsätzlich zeugen Klein zufolge viele Graffitis – ob legal oder illegal – in der Schwaben-Metropole von „extrem hoher Qualität“.

Polizei warnt vor Gefahren

Genau darin sieht der Bahnsprecher aber große Gefahren. „Die Täter bringen sich beim Anbringen von Graffiti auf DB-Anlagen und DB-Fahrzeugen in Lebensgefahr“, sagt der Sprecher. Die Gefahren des Bahnbetriebs – etwa durch rollende Züge oder durch Hochspannung in Oberleitungen – würden von den Sprayern immer wieder falsch eingeschätzt und führen zu schweren Unfällen. Auch die Bundespolizei macht auf die Risiken besonders auf Bahnanlagen aufmerksam: „Leider kommen bei illegalen Graffiti auch immer wieder Menschen zu Schaden, denn manche Sprayer begeben sich leichtsinnig in Gefahr.“ Besonders riskant sei es, auf Bahnanlagen zu sprühen, da vorbeifahrende Züge eine enorme Sogwirkung haben. Die Regressforderungen, für die ein Sprayer nach der Tat 30 Jahre lang zur Kasse gebeten werden kann, können unter Umständen mehrere tausend Euro betragen.