Foto: Wilhelma Stuttgart / Harald Kni - Wilhelma Stuttgart / Harald Knitter

90 Prozent aller Zootiere kommen heutzutage in einem Tierpark zur Welt. Das gilt auch für die Wilhelma. Zur Arterhaltung werden Tiere international zwischen den Zoos ausgetauscht.

StuttgartAls Mitte Oktober die Panzernashorn-Kuh Sani starb, endete nicht nur nach 26 Jahren das Leben eines Wilhelma-Stars, sondern auch eine heute nahezu unübliche Form der Tierbeschaffung. Sani war ein Staatsgeschenk des damaligen Königreichs Nepal. Das Kalb kam im Jahr 1993 zum Amtsantritt von Ann-Katrin Bauknecht als Honorarkonsulin für Südwestdeutschland nach Stuttgart. Tiere als Staatsgeschenke sind heute nicht mehr üblich, auch in der Wilhelma nicht, was schon daran liegt, dass sich Stuttgarts Zoo auch als eine Institution für den Arterhalt sieht.

„90 Prozent aller Säugetiere im Zoo sind heute auch in einem Tierpark geboren“, erklärt Marianne Holtkötter, die stellvertretende Wilhelma-Chefin. Wildfänge gäbe es kaum noch. Die Wilhelma ist Mitglied im Europäischen Zoo- und Aquarienverband EAZA und unterwirft sich somit strengen Regeln. „Früher haben die Zoos noch bei Tierhändlern angerufen, aber das ist vorbei“, sagt Holtkötter. Die Mitglieder der EAZA wollen die Tiere nicht nur den Besuchern präsentieren, sondern auch vor allem bedrohte Tierarten züchten, um so eine Art Reservepopulation zu haben. Damit die möglichst gesund ist, versucht man Inzucht so weit wie es geht zu vermeiden.

Europaweiter Austausch von Tieren

Im Prinzip funktioniert die Beschaffung der Zoobewohner heute in einem europaweiten Austausch von Tieren. Der Transfer erfolgt mit Ausnahme der Kosten für den Transport unter den EAZA-Mitgliedern unentgeltlich. Als Basis dient das Europäische Erhaltungszuchtprogramm (EEP), das Zuchtbücher über 300 Tierarten führt. Panzernashorn Sani war übrigens eines der „Gründungsmitglieder“ des Erhaltungszuchtprogramms. Die Kuh hat in der Wilhelma sechsmal Nachwuchs bekommen. Dieser lebt heute in Zoos in Spanien, Portugal, Polen, Schottland, der Türkei und in den Niederlanden – und hat teilweise selbst schon wieder Nachwuchs bekommen. Über das EEP kam zum Beispiel auch der Flusspferd Bulle Mike im Jahr 2017 von Stuttgart ins tschechische Dvur Kralove, wo er zwischenzeitlich Vater geworden ist, was in Stuttgart mangels Partnerin unmöglich war. Für Mike kamen dann ebenfalls über das EEP Schabrackentapire nach Stuttgart.

EEP bedeutet für die Besucher des Zoos aber auch, dass sie sich daran gewöhnen müssen, Jungtiere eines Tages zu Zuchtzwecken in einen anderen Zoo verlegen zu müssen. Wie die drei jungen Schneeleoparden aus dem ersten Wurf von Kailash und Ladakh. Auch die im Frühjahr geborenen Schneeleoparden-Zwillinge werden irgendwann eine andere Heimat finden. Genau wie einst Wilhelma-Star Wilbär, der im Jahr 2009 als nicht mal zweijähriger Wonneproppen von seiner Mutter Corinna getrennt werden musste und heute mit einer Bärin namens Hope in Schweden lebt. Trotz des hoffnungsvollen Namens seiner bereits zweiten Partnerin bisher aber ohne Nachwuchs. Darüber hinaus beteiligt sich die Wilhelma auch an den Auswilderungsprogrammen und hat schon Seeadler nach Irland und Steinböcke nach Österreich gebracht.

Manchmal finden zudem beschlagnahmte Tiere den Weg in den Stuttgarter Zoo. Zumindest eines davon hatte eine außergewöhnliche Biografie: Im Mai des Jahres 1994 kam der Bonobo Zorba in die Wilhelma. Der damals ungefähr zwölfjährige Affe war ohne jeglichen Kontakt mit seinen Artgenossen bei Menschen aufgewachsen und wurde schließlich aus einer Privathaltung heraus beschlagnahmt. Zorba hatte große Schwierigkeiten sich mit seinen Artgenossen zu arrangieren, suchte eher die Nähe der Pfleger. „Mit den Tüchern, die wir den Bonobos zum Spielen oder zum Nestbau gaben, begann Zorba die Fenster zu putzen“, erinnert sich Marianne Holtkötter. Nach dem Umzug ins neue Menschenaffenhaus im Jahr 2013 gelang es dann doch noch, dass aus Zorba ein halbwegs in die Gruppe integrierter Affe wurde. Er starb schließlich 2015 mit stolzen 35 Jahren.

Nicht nur zur Präsentation

Tiere in der Wilhelma werden also nicht nur aus Gründen der Präsentation ausgesucht, es geht auch um Arterhaltung, Zucht und manchmal eben auch Therapie. Deshalb liegt es nicht an der Wilhelma allein, ob zum Beispiel jemals wieder Eisbären einziehen. Die aktuelle Anlage, in der einst fünf Eisbären lebten, entspricht nicht mehr den Ansprüchen für die Zucht. Selbst wenn sich der Zoo dazu entschließen würde, die Anlage nach dem Auszug der aktuell dort „geparkten“ Seelöwen dem heutigen Standard anzupassen, wäre offen, ob die Kuratoren für diese Tierart in der EAZA den Daumen nach oben recken würden. Und wenn ja und wenn alles gut ginge und ein Wilbär zwei die Besucher verzücken würde – auch der müsste dann im Interesse der Zucht Stuttgart nach einer gewissen Zeit wieder verlassen, oder seine Eltern. Das Leben ist eben auch im Zoo kein Ponyhof.

Artenschutz in der Wilhelma

Tiere: In der Wilhelma leben etwa 1200 Tierarten, der Zoo beherbergt etwa 11 000 Tiere. Darüber hinaus gibt es im zoologisch-botanischen Garten etwa 8500 Pflanzenarten.

Natur- und Artenschutz: Die Wilhelma sieht den Natur- und Artenschutz als eine der Hauptaufgaben eines Zoos. In Stuttgart züchtet man bedrohte Arten, unterstützt Wiederauswilderungsprojekte, nimmt an den Artenschutzkampagnen der EAZA teil und unterstützt zwanzig Artenschutzprojekte mit dem 2019 eingeführten Artenschutzeuro, den der Besucher mit seiner Eintrittskarte bezahlt, wenn er nicht widerruft. Laut Wilhelma wird das Geld zu 100 Prozent ohne Abzüge weitergegeben.