Der Tänzer Mike studiert nun Medizin – ist das als Aufforderung an alle Kunstschaffenden gemeint, umzusatteln? Foto: Screenshots – Wellenbrecherkampagne BW

Die baden-württembergische Landesregierung will mit einem Video aus ihrer Wellenbrecher-Kampagne in Corona-Zeiten Mut machen. Aber sie bewirkt ein hässliches Missverständnis.

Stuttgart - Hat die grün-schwarze Landesregierung der vom Teil-Lockdown sowieso schon arg mitgenommenen Kulturszene einen Tiefschlag versetzt? Will der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann Kunstschaffenden zu verstehen geben, sie sollten künftig bitte etwas Nützlicheres arbeiten? Auf Twitter kann man diese Anklage finden – nicht nur von Trollen in der Deckung der Anonymität. Auch Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda zürnt wegen eines – mittlerweile zurückgezogenen – Filmclips: „Das Video, das MP Kretschmann verbreitet, ist auf so vielen Ebenen neben der Spur, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Eine Gesellschaft, die sich nicht um Kunst & Kultur kümmert, verarmt!“

Ein Tänzer wird Mediziner

Der nur eine Minute lange Film, der Brosda ergrimmt, ist von Studierenden der Filmakademie Baden-Württemberg gedreht worden und Teil jener „Wellenbrecher“-Kampagne des Landes, die jüngere Leute zum konstruktiven Umgang mit der Krise ermutigen soll. Vorgestellt wird der 26-jährige Tänzer Mike, der vor seiner Lebensentscheidung fürs Ballett eine Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten absolviert hatte. Zwar wurde er am Opernhaus Zürich engagiert, aber dann kam Corona. „Man hat ja so von heute auf morgen gar nichts. Dann verlässt dich die Kunst, dann verlässt dich so eine Stabilität“, sagt er in dem Film, „und die Leute, die jetzt gesucht werden, sind im medizinischen Bereich.“ Mike hat sich noch einmal umentschieden und ein Medizinstudium aufgenommen.

Dass der Film als generelle Aufforderung verstanden werden könnte, Kunst endlich sein zu lassen, fiel im Staatsministerium niemandem auf. „Auf diese Deutung wäre ich nie gekommen“, sagt Arne Braun, einer der Pressesprecher des Ministeriums. „Wir führen die Kampagne ja bewusst nicht mit einer Agentur durch, sondern direkt mit jungen Künstlern an der Filmakademie und an der Hochschule für Medien, um auch dort Mut zu machen, dass man gebraucht wird.“

Mit den allerbesten Absichten

Andrea Gern aber, die Geschäftsführerin der Tanzszene BW, dem Zusammenschluss von freier Szene und festen Kompanien im Land, kann bezeugen, wie anders der Spot ankam: „Ich war gerade in einer Zoom-Konferenz, als der Clip bekannt wurde, und konnte mit ansehen, wie da auch gestandene Leute in leitenden Positionen in sich zusammensackten.“ Doch so schmerzhaft Gern und andere den missverständlichen Film empfanden, so sicher ist sie, dass er nicht das Offenbarwerden einer grundsätzlich kunstfeindlichen Haltung der Landesregierung darstellt. „Das haben junge Leute mit den allerbesten Absichten gemacht. Die waren so auf das fixiert, was sie an Ermutigung ausdrücken wollten, dass sie nicht gemerkt haben, wie das auch ankommen kann.“

Reagiert hat man im Staatsministerium trotzdem: „Aufgrund der nun aufgekommenen Missverständnisse haben wir den Film bei Facebook und Twitter heruntergenommen“, lässt man wissen. Viel wichtiger als der Streit um das Video sei es aber, appelliert Arne Braun, zu begreifen, was die ganze Kampagne bezwecke: „Wir wollen Mut machen. Wir wollen zeigen, was in den jungen Menschen steckt und wie sehr sie bereit sind, sich in der Krise einzubringen und Verantwortung zu tragen – obwohl gerade diese Altersgruppe im Moment auch auf viel verzichten muss.“ Bleibt zu raten, dass man auch in Corona-Zeiten auf eine kritische Filmendabnahme durch gleich mehrere Augenpaare nicht verzichten sollte.