Bärbel Mohrmann bei einer Promi-Lese im städtischen Weinberg Mönchhalde. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Stuttgarter Weindorf muss in der Corona-Zeit pausieren. Nun gibt es ein „wirtuelles Weindorf“. Nicht nur der Name (abgeleitet von virtuell) ist außergewöhnlich. Weindorf-Chefin Bärbel Mohrmann erklärt, was sie vorhat.

Stuttgart - Seit 2017 ist Bärbel Mohrmann Chefin des Stuttgarter Weindorfs. Aber erst in diesem Jahr, nachdem der große Trubel wegen Corona abgesagt werden musste, ist der ProStuttgart-Geschäftsführerin so richtig klar geworden, welche Bedeutung das Fest für viele Menschen hat.

Frau Mohrmann, Sie sind schwer zu erreichen. Und das, obwohl es in diesem Jahr gar kein richtiges Weindorf gibt.

So ist das nun mal, wenn man ein wirtuelles Weindorf auf die Beine stellt. Da ist der Aufwand eben dreimal so hoch. Beim Weindorf wissen wir, wie es geht. Da gibt‘s zwar auch immer wieder Neues, aber das Grundgerüst steht. Zudem sind wir beim Verein Pro Stuttgart nur zweieinhalb Hauptamtliche. Da ist so eine neue Veranstaltungsform eine sportliche Herausforderung.

Aber ich hoffe, Sie haben vor allem positiven Stress.

Ich mache den Job seit 2017. Anfangs der Corona-Krise haben ich mich schon gefragt, ob es eine gute Idee war, die Stadtverwaltung zu verlassen. Aber inzwischen bin ich mir sicher, dass es absolut richtig war. Was wir allesamt in den vergangenen Monaten gelernt haben, ist enorm. Das hätte ich mir nie träumen lassen. Aber da erging es anderen Veranstaltern in der Stadt nicht anders.

Wann war klar, dass es zumindest ein Weindorf im Netz geben wird?

Im Mai haben wir zwar offiziell abgesagt, aber schon im März haben wir für uns entschieden, dass wir nicht nichts machen wollen.

Wie haben die Wirte auf die Absage reagiert?

Die Verzweiflung war groß. Es gibt ja Weindorfwirte, die ausschließlich von solchen Festen leben. Mir sind aber Fälle bekannt, da haben Wengerter zu Wirten, die keinen eigenen Weinberg haben, gesagt: „Komm, mach du bei mir die Gastronomie.“ Offenbar hat die Ausnahmesituation die Weindorffamilie noch mehr zusammengeschweißt. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Form der Solidarität ins Weindorf 2021 mitnehmen.

Sie machen in diesem Jahr an zwölf Tagen Programm. Wie darf man sich die Eröffnung eines wirtuellen Weindorfs vorstellen?

Nun, mit der Eröffnung sind wir fast schon fertig, zumindest was die Produktion betrifft. Wir könnten im Grunde sofort loslegen. Von den Wirtinnen und Wirten haben wir Videogrüße eingeholt. Zu manchen sind wir auch hingefahren. Und dann gibt‘s natürlich Grußbotschaften vom Ministerpräsidenten, dem OB und auch von Günther Oettinger, der seit dem vergangenen Jahr unser Weinbotschafter ist. Der kam für seinen Part extra nach Stuttgart.

Aber die Beiträge werden live anmoderiert.

Genau, das macht für uns wieder Jens Zimmermann, und zwar ehrenamtlich. Weil er eben weiß, dass wir als Verein kaum Geld haben. Er wird sämtliche Veranstaltungen moderieren, bis auf den „Weindorf-Treff“ von SWR 4 Studio Stuttgart und den Stuttgarter Nachrichten. Wie ich überhaupt sagen muss, dass wir unglaublich viel Unterstützung und Solidarität erfahren haben, als klar wurde, dass das Weindorf im gewohnten Rahmen ausfällt.

Bei der Eröffnung darf auch eine Kapelle nicht fehlen.

Selbstverständlich. Die Aufnahmen der Streetband inklusive Württemberglied sind im Kasten. Wir haben bei Gluthitze im Weinberg gedreht.

Wirtuell heißt, man kann alle Veranstaltungen im Netz verfolgen. Man kann aber auch Ihre Laube bei der Alten Kanzlei am Schlossplatz besuchen.

Ja, die wurde von Andreas Zaiß von der Zaißerei zusammengebaut. Auch er macht das für uns umsonst. Die Laube wird nach allen Seiten offen sein, sodass wir einen schönen Durchzug haben. Natürlich kann man die Veranstaltung vor Ort verfolgen, aber ein Sicherheitsdienst wird darauf achten, dass die Abstände gewahrt werden. Wir wollen für keine Corona-Ausbrüche verantwortlich sein.

Es gibt auch keinen Grund, sich zu drängen.

Nein, man könnte sich auch auf den Schlossplatz setzen und via Smartphone dabei sein. Oder sich von zuhause aus unsere Weinverkostung reinziehen – und mitmachen, so man sich ein entsprechendes Weinpaket hat kommen lassen. Wer Netz hat, kann von überall live dabei sein. Oder alles hinterher auf Youtube, Instagram, Facebook oder auf unserer Homepage nachschauen.

Reichlich Aufwand für eine einmalige Sache.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir die eine oder andere Idee auch ins normale Stuttgarter Weindorf rüber retten werden. Jetzt wissen wir ja, wie es geht. Oder glauben zumindest, dass wir es wissen.

Nur beim traditionellen Traubenpressen mussten Sie Federn lassen.

Klar, in solchen Zeiten kannst du die Leute nicht in einen engen Zuber stellen. Wir haben eine historische Handmühle besorgt, damit geht’s auch. Fast alle OB-Kandidaten haben zugesagt. Selbst ein Richtfest wird es an diesem Montag geben, wenn die Laube steht, allerdings nur im kleinen Kreis. Und vielleicht machen wir sogar eine Live-Schaltung nach St. Louis in die USA.

Wie das?

Nun, St. Louis ist zum einen eine Weingegend. Zum anderen feiern Stuttgart und St. Louis in diesem Jahr 60 Jahre Städtepartnerschaft. So können sich die Menschen wenigsten auf der Ebene begegnen.

Gibt es viele Weindorf-Fans in den USA?

Nicht nur dort. Mir war es bisher nicht bewusst, was für eine unglaubliche Akzeptanz diese Veranstaltung hat. Wir haben viele Anfragen aus den USA bekommen von Leuten, die wissen wollen, ob wir im nächsten Jahr ein Weindorf planen. Damit sie ihre Flüge buchen können. Da gibt es Menschen, die richten ihren Urlaub am Weindorf aus! Diese Dimension war mir so bisher nicht bewusst, insofern bin ich auch stolz, dass ich die Veranstaltung machen darf.

Und Sie arbeiten mit Heilbronn zusammen.

Stimmt, das hatten wir aber ohnehin vor. Am Ende machen wir eine Stabübergabe, und eine Ausstellung über Bibel und Wein, die es auf dem Schlossplatz zu sehen gibt, wandert dann zum Heilbronner Weindorf. Die Kollegen im Unterland werden sich sogar eine richtige Eröffnung mit 150 Gästen leisten und Veranstaltungen auf den Weingütern machen.

Höre ich da Neid heraus?

Ein bissle schon. Aber in Heilbronn steht das Weindorf als städtische Veranstaltung auf ganz anderen finanziellen Füßen. Ich war im vergangenen Jahr auf deren Eröffnung und begeistert. Aber ich will mich nicht beschweren. Auch wir haben eine breite Unterstützung erhalten, vom Land und von allen Fraktionen im Rathaus. Und ich habe eine gute Nachricht fürs kommende Jahr.

Und die wäre?

2021 dürfen wir eine Woche länger machen als üblich. Für uns als Verein bringt das vor allem mehr Arbeit. Aber für unsere Wirtinnen und Wirte ist das unglaublich wichtig.