Das Unkraut darf sprießen in einem Weinberg der Stadt Stuttgart Foto: Weingut Stadt Stuttgart

Der erste Bio-Wein des städtischen Weinguts ist abgefüllt. Früher galten Öko-Winzer als Sonderlinge, mittlerweile stoßen Spitzenweingüter die Bewegung an. Immer mehr stellen auf bio um.

Die Umstellung auf Bioanbau fiel den Stuttgartern sofort auf: Sofort mehr böse E-Mails, mehr gelbe Karten und mehr Beschwerdeanrufe landeten bei Timo Saier, als jemals zuvor. „Ein Bürger fragte, warum wir eigentlich nicht biologisch arbeiten“, erzählt der Leiter des Weinguts der Stadt Stuttgart. Aber seit er ganz auf chemische Hilfsmittel verzichtet, muss eben öfter gespritzt werden. Außerdem wird jetzt mit Kompost gedüngt, und das Unkraut darf sprießen. „Es ist zum Teil beschwerlich“, sagt er, „aber man sieht die Ergebnisse.“ Auch Spitzenwinzer Hans-Peter Wöhrwag aus Untertürkheim oder Fabian Rajtschan aus Feuerbach haben die Zertifizierung als Ökobetrieb zum Ziel. Aber nicht alle Kollegen sind absolut von diesem Weg überzeugt.

Weißweine und Rosé kommen demnächst auf den Markt

Vom städtischen Weingut kommen die ersten Weißweine und ein Rosé vom Jahrgang 2021 mit Bioland-Siegel demnächst auf den Markt. Timo Saier arbeitet seit seinem Antritt in Stuttgart an der Umstellung des Betriebs. „Ich persönlich will keine konventionellen Sachen versprühen“, sagt der 42-Jährige. Die Weinberge wurden seither so angelegt, dass dass Unkraut mechanisch entfernt werden kann. Seit August 2020 arbeitet der Betrieb komplett biologisch. „Es hat alles gut funktioniert“, berichtet er. Das größte Problem stellt derzeit die Rebenkrankheit Peronospera dar, die bei viel Niederschlag besonders um sich greift. Da nur Schwefel, Backpulver und Kupfer als Pflanzenschutz zugelassen sind, muss je nach Wetter schnell und öfter gespritzt werden. Timo Saier findet, die städtischen Weinberge würden seither „ein homogenes Bild“ abgeben.

Während der visionäre Weinhändler Bernd Kreis lange auf einsamer Flur stand – er bewirtschaftet seine 20 Ar am Degerlocher Scharrenberg seit den 1990er Jahren ökologisch –, scheint sich aktuell eine Massenbewegung zu bilden. Hans-Peter Wöhrwag ist beispielsweise schon seit rund fünf Jahren ein Biowinzer im Geheimen. „Jetzt machen wir es offiziell“, sagt seine Tochter Johanna, die im Weingut mitarbeitet. Denn viele Kunden und Fachhändler wünschten sich das Label. Während ihrer Ausbildung hat die Jungwinzerin in mehreren Biobetrieben Erfahrung gesammelt und ihren Vater zu dem Schritt ermuntert. Die Technologie sei viel einfacher als früher. Und sie findet, dass es sich in der Qualität auszahlt, denn das größte Kapital des Winzers sei der Rebstock. Im Verband der Prädikatsweingüter, zu dem die Wöhrwags gehören, sind bald alle Württemberger Ökos.

In ein paar Jahren wird noch mehr Bio-Wein produziert

Johanna Wöhrwag ist sich sicher, dass im Premiumbereich die meisten Betriebe den Schritt wagen werden. In Deutschland hat sich die biologisch bewirtschaftete Rebfläche im vergangenen Jahrzehnt auf einen Anteil von zehn Prozent verdoppelt. Stuttgart dürfte etwas über diesem Prozentsatz liegen. „Es gehört mittlerweile zum guten Ton“, sagt Fabian Rajtschan. Seit Jahren verzichtet der 36-Jährige aus Überzeugung schon auf Herbizide und den meisten Pflanzenschutz. Nur die phosphorige Säure setzte er statt Kupfer weiter ein, weil sich das Schwermetall im Boden anreichere. Mit dem Problem hadern viele seiner Kollegen. Seit dem vergangenen Jahrgang beugt er sich aber dem Argument der Ökoverbände, dass Kupfer und Schwefel in der Natur vorkommen, während sich die Säure in der Pflanze anreichere. „Wenn ich es schon mache, dann richtig“, sagt er, „und es funktioniert ja.“

Auch im Untertürkheimer Weingut Schwarz ist die Umstellung ständig Thema. Eine Mischung aus konventionell und öko lautet momentan das Rezept, erklärt Juniorchef Ludwig Schwarz. Die Familie müsste in einen Seilzug und Maschinen für die Steillagen investieren, um bei Regen spritzen zu können. „Der Aufwand ist schon erheblich, und wir müssen wirtschaftlich arbeiten“, sagt er. Zudem fragt er sich manchmal, ob es wirklich ökologischer ist, dreimal so oft fahren zu müssen, weil auf Chemie verzichtet wird. „Es ist schwierig, eine Ideallösung zu finden, es gibt immer einen Makel“, sagt Ludwig Schwarz.

Biolinie aufgrund geringer Nachfrage wieder eingestellt

Die Weinmanufaktur Untertürkheim hat sich deshalb für ein anderes Label entschieden: Bei „fair & green“ ist das Ziel, die Nachhaltigkeit stetig zu verbessern. Auf Herbizide und Insektizide verzichten die Mitglieder bereits. Eine Bioumstellung schließt die Geschäftsführerin Saskia Wörthwein nicht aus, „aber es ist ein langer Weg in einer Genossenschaft“. Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit müssten im Gleichgewicht sein.

Das Collegium Wirtemberg setzt „auf Aktionen, die der Natur guttun“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Rainer Bubeck. Die Aussaat von Blühmischungen, weniger Mäheinsätze nennt er als Beispiele. „Es ist ganz klar: Der Druck zur Umstellung ist vorhanden“, sagt er. Der biologische Anbau habe jedoch viele Schwachstellen. „Es muss von den Mitgliedern ausgehen“, sagt Hans-Jörg Schiller. Der Geschäftsführer der Felsengartenkellerei, zu der Weinfactum Cannstatt gehört, hat mit dem Thema jedoch schlechte Erfahrung gemacht: Die von ihm eingeführte Biolinie der Genossenschaft wurde aufgrund geringer Nachfrage wieder eingestellt.