Hühnerteile von Kentucky Fried Chicken: Viele Japaner glauben, dass frittiertes Huhn zu einem gelungenen Weihnachten gehört. Foto: AFP/Kazuhiro Nogi

In Japan tischt man zu Weihnachten keine Gans auf, sondern kauft frittierte Hühnerteile. Wie es einer Fast-Food-Kette gelungen ist, den Japanern eine erfundene Tradition unterzujubeln.

Tokio - Der Werbespot ist nicht schwer zu zu verstehen: „Frohe Weihnachten!“, ruft die Frau, als sie zur Tür reinkommt. Mit rot-weißem Mantel und weißem Rauschebart verkleidet hebt sie die Hand zum Gruß. Das kleine Mädchen, dem die Überraschung gilt, hat die Person hinter der Verkleidung sofort erkannt, rennt zu diesem vermeintlichen Weihnachtsmann, der in Wahrheit ihre Mutter sein dürfte. „Jetzt musst du erst mal das Essen finden“, sagt die Verkleidete. „Ich hab es gefunden, hinterm Bart!“

Dann wechselt die Kameraeinstellung zu einem gedeckten Tisch mit drapiertem Fast Food. „Noch haben Sie Zeit: das Weihnachtspaket. Jetzt bestellen.“ Am Ende dieses TV-Spots schmatzt die nun um ihren Bart erleichterte Weihnachtsfrau noch in die Kamera und fragt: „Wollen Sie zu Weihnachten nicht auch Kentucky?“ In ihren Händen hält sie einen fett frittierten Hähnchenflügel, der unmissverständlich verrät, worum es hier geht: KFC, Kentucky Fried Chicken, die US-amerikanische Fast-Food-Kette, gibt sich hier als Klassiker für das Weihnachtsessen aus.

So wie Coca-Cola den Weihnachtsmann erfunden hat

Die Schnellrestaurants in Japan bleiben diesmal wegen der Pandemie zwar geschlossen. Doch die seit Mitte Dezember im japanischen Fernsehen ausgestrahlte Werbung will die Menschen in dem ostasiatischen Land trotzdem zu dieser vermeintlichen Tradition bewegen. Im Jahr 2020 werden die großen Pappbecher mit Chicken Wings eben nach Hause geliefert.

Junkfood zu Weihnachten: Was soll das denn für eine Tradition sein? In Japan ist es seit einiger Zeit tatsächlich eine. Im Angebot sind Menüs für Preise von 4100 bis 5900 Yen – also 32 bis 47 Euro. Dabei dreht sich alles um in Pappkartons verpackte Produkte aus vor Fett triefenden Hühnerteilen. Die Werbung lohnt sich: Den Weihnachtstagen am 24. und 25. Dezember verdanken die gut 1100 KFC-Filialen im Land ein Drittel ihres jährlichen Japan-Geschäfts. Und das seit Jahrzehnten.

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Ohne offensive Legendenbildung mit Mut zur Lüge hätte das Ganze nie begonnen. Das erinnert an den Getränkekonzern Coca-Cola, der 1931 die Figur des Weihnachtsmanns erfand, um einen Markenbotschafter für seine eigenen Getränke zu haben. Der im Englischen als „Santa Claus“ bekannte alte Mann mit rotem Anzug und weißem Rauschebart sieht in seiner Farbkombination aus wie das Logo auf Colaflaschen. Aber die Werbelegende sagt, es habe ihn schon immer gegeben – und das glauben heute viele Leute auf der ganzen Welt.

Weihnachten ist in Japan ein exotisches Fest

In Japan ist so eine kommerziell erfolgreiche Legendenbildung schwieriger. Das sowieso kaum religiöse Land hat nur eine kleine christliche Bevölkerung. Der Name „Jesus“ klingt exotisch, Weihnachten ist ein exotisches Fest. Kaum jemandem würde einfallen, für so einen in der japanischen Kultur wenig wichtigen Anlass aufwendig zu kochen. Das liegt schon daran, dass die Weihnachtstage keine öffentlichen Feiertage sind.

So musste Kentucky Fried Chicken mit einer erfundenen Tradition kommen. Als 1970 die erste Japan-Filiale in Nagoya eröffnete, stand der Subunternehmer Takeshi Okawara bald kurz vor der Pleite. Die Kunden verstanden schon das weiß-rote Design der Fast-Food-Kette falsch und vermuteten ihren lokalen Traditionen entsprechend einen Friseur- oder Schokoladenladen. Erst als Okawara eines Tages um Weihnachten herum von einem der wenigen katholischen Kindergärten eingeladen wurde, kam die Wende.

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„Die Nonne des Kindergartens wollte eine Weihnachtsfeier für die Kinder organisieren“, erinnert sich Okawara in einem Podcast des US-Nachrichtendienstes Business Insider. „Ich hatte sowieso keine andere Wahl. Also habe ich das Weihnachtsmannkostüm angezogen und ein Lied erfunden: ‚Kentucky Weihnachten, Kentucky frohe Weihnachten, irgendwie so, und habe getanzt. Und die Kinder liebten es!“

Natürlich essen Amerikaner Truthahn und kein Hühnchen

In Nagoya machte Okawaras Auftritt die Runde, auch andere Kindergärten fragten ihn an. So kam der Unternehmer auf eine Idee: Warum nicht frittiertes Hühnchen einfach zum typischen Weihnachtsgericht erklären? Auf den Verpackungen ersetzte Okawara das Gesicht von KFC-Gründer Harland Sanders durch das des Weihnachtsmanns. Das Geschäft funktionierte bald so gut, dass einige Jahre später der öffentliche Rundfunksender NHK Okawara interviewte.

Der fragte ihn, ob man auch in den USA zu Weihnachten Fried Chicken esse. Gegenüber Business Insider gesteht Okawara: „Ich wusste natürlich, dass die Leute dort nicht Hühnchen essen, sondern Truthahn. Aber ich habe einfach Ja gesagt. Es war eine Lüge.“

Ein bisschen bereue er das noch heute, hat Okawara mehrmals zugegeben. Zugleich hat sich seine Legende über ein halbes Jahrhundert gehalten. Auch diesmal dürften sich viele Menschen in Japan, die im Corona-Jahr kaum zu westlichen Weihnachtsmärkten reisen konnten, an diese vermeintliche Tradition halten – und sich dann mal wieder ganz weihnachtlich fühlen.