Neue Hoffnung für die Streuobstwiese. Foto: Reisner /Eibner-Pressefoto

Die Corona-Pandemie und die Energiekrise haben manch vergessen geglaubte Aktivität wieder aufleben lassen. Sieben Beispiele für vermeintlich aus der Zeit gefallene Dinge, die hochmodern sind.

Die Tochter interessiert sich plötzlich sehr ernsthaft fürs Plätzchenbacken, in historisch anmutender Tracht wird über Mittelaltermärkte gewandelt, die Grünen lassen für die Braunkohle die Polizei aufmarschieren, und im Radio gibt es eine eigene Sendung für Countrymusik – vermeintlich längst aus der Zeit gefallene Erscheinungen sind in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so unmodern, wie mancher glaubt.

Der Preisskat in Leutenbach

Wer an Skat denkt, dem fallen neben Null ouvert und dem Grand mit vier Buben auch volle Bierseidel und verrauchte Hinterzimmer ein. Gibt es noch Kneipen, in denen am Stammtisch ein gepflegter Skat geklopft wird, mit Contra, Re und Doppel-Re und überquellenden Aschenbechern? Dass der Denksport mit Karo, Pik und Kreuz durchaus noch Fans hat, durfte der Skatclub „Billige Null“ in Weiler zum Stein an Dreikönig einmal mehr erleben. Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause erfreute sich das in der Rems-Murr-Halle veranstaltete Turnier des Vereins einer ausgesprochen regen Teilnahme. 144 Skat-Begeisterte, darunter übrigens auch 18 Damen, hatten sich angemeldet und teilweise weite Anfahrtswege in Kauf genommen. Der Sieger Herbert Binder beispielsweise kommt aus Mössingen, auf dem dritten Platz landete Hurth Perumal aus Stuttgart. Zweiter wurde ein Lokalmatador, Rolf Hammer aus Leutenbach hatte den Heimvorteil im Rücken. Gelohnt hat sich das: Die kompletten Anmeldegebühren in Höhe von 2306 Euro wurden als Preisgeld ausgezahlt. Geraucht übrigens wurde beim Leutenbacher Skatturnier nicht. Und Bier war auf den Tischen höchst selten zu sehen.

Wieder in der Küche: der Fleischwolf

Zugegeben: Die bessere Hälfte zog zunächst fragend die Augenbraue hoch, als plötzlich ein Fleischwolf auf der Wunschliste für die Küche auftauchte. Schließlich gibt es feines Hack an der Metzgertheke auch, von den Schleuderpreisen im Supermarkt ganz zu schweigen. Warum also ein Gerät anschaffen, das früher vielleicht mal unentbehrlich war, in den vergangenen Jahrzehnten aber aus fast jedem Haushalt verschwunden ist? Das Argument, dass wir ohnehin zu viel Fleisch essen, konnte vom Hobbykoch glücklicherweise entkräftet werden, weil das begehrte Teil auch Gemüse schnitzeln kann. Und auch auf die Frage „Brauchen wir das wirklich?“ gibt es inzwischen eine Antwort. Das selbst gewolfte Hack – oh Wunder – zieht in der Pfanne nämlich viel weniger Wasser als gekaufte Ware, ist naturgemäß frischer und schmeckt halt einfach besser. Das mag auch daran liegen, dass Hackfleisch im Handel erstens gesalzen sein darf und zweitens viel mehr Fett enthalten kann. Beim Rind sind 20 Prozent, beim Schwein gar 35 Prozent erlaubt. Um das zu verschleiern, greift die industrielle Produktion zu einem fiesen Trick: Fleisch mit viel Fett wird zunächst vorgehackt und erst im Anschluss mit Magerkost vermischt. Durch das Verfahren ist mit bloßem Auge fast nicht mehr zu erkennen, dass es sich um minderwertige Ware handelt. Spätestens beim Anbraten in der Pfanne allerdings merkt man den Unterschied. Das hat überzeugt – als Nächstes kommt eine Wurstmaschine her.

Wer will noch eine Streuobstwiese?

Sich fürs Mostobst bücken will niemand mehr. Und die Apfelbäume auf Opas Wiesle mit gekonntem Schnitt pflegen schon gar nicht. Das galt über Jahre als feststehende Tatsache, der Niedergang der zumindest im Rems-Murr-Kreis das Landschaftsbild prägenden Streuobstwiesen schien besiegelt. Dass es auch in die andere Richtung gehen kann, hat im vergangenen Jahr der Obst- und Gartenbauverein Oeffingen bewiesen. Der Klub hat interessierten Privatleuten nicht nur Grundstücke am Hardtwald und rund um die vereinseigene Obstbauscheuer für die nächsten zehn Jahre kostenlos zur Verfügung gestellt, sondern die interessierten Neulinge bei Pflanzung und Pflege auch an die Hand genommen. Das in der Coronazeit neu erwachte Interesse an der Gartenarbeit und die Suche vieler Menschen nach dem Ausgleich in der Natur zahlt sich auch für den Verein aus: Auf exakt 374 Mitglieder kann der Obst- und Gartenbauverein inzwischen zählen, das sind fast 50 Menschen mehr als vor Beginn der Pandemie. Dass die nächste Generation mit Gießkanne und Gartenhacke schon in den Startlöchern steht, zeigt sich auch an der starken Resonanz auf Veranstaltungen wie den Blütenrundgang oder die Lehrgangsangebote. Allein am Winterschnittkurs – vor Jahren als vermeintlich alter Hut belächelt – nahmen 62 interessierte Menschen teil. Ob das für die Rettung der Streuobstwiesen reicht? Schauen wir mal.

Wieder sehr in Mode: die Wärmflasche

Ganz vergessen war sie zwar nie. Doch spätestens mit der Energiekrise erlebt die Wärmflasche ihre Wiedergeburt. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind die Kosten für Strom und Heizung derart in die Höhe geschnellt, dass es zur Bürgerpflicht geworden ist, das Thermostat auf eine niedrigere Stufe herunterzudrehen. Deshalb merken inzwischen auch Besserverdiener, dass es im schicken Loft reichlich zugig ist, und in der Altbauwohnung der Wind durch die Ritzen pfeift. Und sie erinnern sich im nicht länger geheizten Schlafzimmer an das wohlige Gefühl aus Kindertagen, wenn die Mama einem vor der Gutenachtgeschichte auch gleich eine Wärmflasche unter die Decke gesteckt hat. Das ist inzwischen nicht nur aus Energiespargründen wieder im Trend. Frauen wissen, dass die mit Nass aus dem Wasserkocher gefüllten Behälter auch Nackenverspannungen lösen und Bauchschmerzen lindern können. Und Männer können sich sicher sein, dass warme Füße ungeheuer sexy sind – warum sonst würden frostige Haxen immer auf die attraktiv vorgeheizte Seite wandern. In Zeiten von Homeoffice und temperaturregulierten Büros sind Wärmflaschen durchaus auch tagsüber im Einsatz, wahlweise auch als in der Mikrowelle kurz überbackenes Kirschkernkissen. Und wir hätten auch einen Tipp für die Bahn, wenn es um mehr Komfort für Zugreisende geht: In der Frühphase des Eisenbahnverkehrs gab es an den Bahnhöfen bekanntlich Personal, das erkaltete Wärmflaschen fürs Abteil im Winter mit heißen ersetzt hat. Der „Wärmeflaschentauscher“, so lehrt die Geschichte, könnte Zukunft haben.

Was macht die Philatelie?

Eine „Treskilling Yellow“ war in der Alten Kelter nicht zu sehen. Und auch auf die kaum weniger wertvolle Blaue Mauritius mussten Briefmarkenfreunde in Fellbach verzichten. Ansonsten aber war bei der zum 90-jährigen Bestehen des Briefmarkensammler-Vereins Fellbach viel von dem dabei, was ein Philatelisten-Herz höherschlagen lässt: Die „Flaggenstempel der deutschen See- und Schiffspost“ beispielsweise. Der „grenzüberschreitenden Postverkehr zwischen Bayern und Preußen“. Oder auch die „Biographie des Bieres“. Um keine falschen Vermutungen zu wecken: Briefmarkensammeln, einst eine vom Schulbuben bis zum Pensionär gepflegte Leidenschaft, schlägt vielleicht nicht mehr alle Menschen in seinen Bann. Für viele Zeitgenossen ist die Philatelie der Inbegriff der Langeweile, der fremdschämverdächtige Lockruf „Ich zeig’ Dir auch meine Sammlung“ mag Beleg dafür sein. Doch wer der Faszination der gezackten Schätze verfallen ist, bleibt fast immer ein Leben lang dabei. Der BSV Fellbach ist nicht nur einer der ältesten Philatelie-Clubs im Land, sondern mit 80 Mitgliedern auch einer der größten. Manche Mitglieder, wie etwa Helmuth Biemann aus Schmiden, sammeln seit mehr als fünf Jahrzehnten. Und eine Nachwuchssparte mit immerhin fünf Jugendlichen gibt es trotz aller Zukunftssorgen auch.

Der Landesvater und sein Waschlappen

Was war das für ein Aufschrei, als der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Sommer verriet, dass er durchaus auch mal den Waschlappen benutzt, statt dauernd unter die Dusche zu gehen. Empörte Kritiker verbaten sich, vom grünen Landesvater in Hygienefragen belehrt zu werden. In der von Sozialträgern aus dem Rems-Murr-Kreis veranstalteten Armutskonferenz in der Waiblinger Christuskirche gab es Hohn und Spott über die vermeintlich gut gemeinten Energiespartipps des 74-Jährigen. Dabei erlebt der Waschlappen tatsächlich ein Revival und das nicht nur als Kosename für bestimmte Kabinettsmitglieder. Jeder Biologielehrer weiß schließlich, dass sich die Haut auch selbst reinigen kann und einen ganz famosen Säureschutzmantel bildet, den ein allzu eifriger Kontakt mit dem Wasser nur zerstört. Kretschmann hat also erstens nicht ganz unrecht, zweitens den Büttenrednern und Comedy-Clowns eine Steilvorlage geliefert. Zum Dank bekommt der 74-Jährige immer öfter Waschlappen geschenkt – mal in Ökogrün, mal in den Ukraine-Farben gelb-blau und mal mit seinem eigenen Konterfei auf dem Stoff.

Stricken, bis die Nadeln qualmen

Jahrelang wurden die von der Oma selbst gestrickten Socken allenfalls müde belächelt, der Norweger-Pulli war der Inbegriff des schlechten Modegeschmacks. Und überhaupt galt die Devise: Warum bloß zum Strickzeug greifen, wenn’s die Klamotten ohnehin an jeder Ecke zu Ramschpreisen gibt? Der neu erwachte Trend zum Selbermachen hat für eine Kehrtwende gesorgt, vielleicht auch ein bisschen das schlechte Gewissen über die zu Hungerlöhnen in Fernost produzierte textile Massenware. Wie weggeblasen war plötzlich das angestaubte Image. Auch im Rems-Murr-Kreis schossen die Wolle-Läden wie Pilze aus dem Boden. Oft in Verbindung mit einem Kaffeeplausch am Ladentresen wird seither für Naturfarben geschwärmt und über die richtige Masche beim Double-Face-Stricken gefachsimpelt – eine Art feminine Variante zur Infotheke des lokalen Baumarkts. Das bringt nicht nur warme Pullis, sondern offenbar auch echte Entspannung. In Coronazeiten hat die Sozialforschung beobachtet, dass der Trend zum Strick einen ausgesprochen positiven Effekt auf die Psyche haben kann. Wie in Trance wackeln da die Nadeln, während Männe mit der Wärmflasche auf den Schenkeln über den Briefmarken hockt. Fraglich nur, ob’s ein Schal oder wieder ein Waschlappen wird.