Die polnische Regierungspartei stimmt geschlossen für eine Verschiebung der Präsidentschaftswahlen. Foto: dpa/Wojciech Olkusnik

Knapp 100 Stunden vor der geplanten Präsidentschaftswahl in Polen wird diese nun verschoben – die demokratische Zukunft des Landes ist offener denn je

Warschau - Das größte polnische Nachrichtenportal „onet.pl“ ließ es sich am Donnerstag nicht nehmen, die neuesten Wendungen in Warschau mit der berühmten Nationalhymne zu kommentieren: „Noch ist Polen nicht verloren.“ Die Journalisten setzten allerdings eine Frage dahinter: „Welches Polen eigentlich?“ Treffender ließ sich die Lage am Morgen nach dem vorläufigen Ende eines historischen Machtkampfes nicht auf den Punkt bringen. Die rechtsnationale Regierungspartei PiS hatte den Kollaps im Streit um die Präsidentenwahl zwar gerade noch abgewendet. Völlig offen blieb jedoch, in welche Richtung die Republik nun steuert.

Eine Wahl ohne Oppositions-Wahlkampf

In den vergangenen Wochen hatten sich Regierung und Opposition, aber auch zwei Strömungen innerhalb des Regierungslagers einen rasant eskalierenden Streit um die für diesen Sonntag geplante Wahl geliefert. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski wollte die Abstimmung auch unter Corona-Bedingungen unbedingt abhalten lassen, weil sein Kandidat, Amtsinhaber Andrzej Duda, alle Umfragen anführte. Die Opposition dagegen, deren Bewerber keinen echten Wahlkampf führen konnten, lehnte dies ebenso vehement ab wie eine Gruppe von 18 Rebellen im Regierungslager um den ehemaligen Vizepremier Jaroslaw Gowin.

Am Ende steht nun eine Lösung durch Nichtlösung. Keine 100 Stunden vor der ursprünglich festgesetzten Öffnung der Wahllokale einigten sich Kaczynski und Gowin am späten Mittwochabend darauf, den Wahltermin einfach verstreichen und die Abstimmung anschließend für nichtig erklären zu lassen.

Regierungsblock stimmte nun doch geschlossen

Der grün-liberale Präsidentschaftskandidat Robert Biedron zeigte sich am Morgen danach empört: „Kaczynski und sein getreuer Vasall Gowin schieben das Staatsoberhaupt, die Parlamentspräsidentin und Vertreter vieler anderer Institutionen wie Figuren auf dem Schachbrett hin und her.“ Tatsächlich hatten Gowin und Kaczynski am Mittwoch über Stunden hinweg um einen Kompromiss gerungen und dabei weder das Parlament noch den Präsidenten, seine Herausforderer oder die Wahlbehörden in ihre Entscheidungsfindung einbezogen. Auch das Oberste Gericht wurde nicht befragt, dessen Urteil sie in ihrer Übereinkunft vorwegnahmen.

Kurzfristig hatte das den Effekt, dass die Regierung nicht auseinanderbrach. Am Donnerstag stimmte der Regierungsblock geschlossen für eine Änderung des Wahlrechts. Künftig soll eine reine Briefwahl möglich sein, die es in Polen bislang nur für Menschen mit Behinderung gab. Schon die Wiederholung der verhinderten Präsidentenwahl, die voraussichtlich im Juli stattfinden wird, soll nach diesem Verfahren abgehalten werden. Das ist bemerkenswert, weil die Gowin-Rebellen dies zuvor ebenso klar abgelehnt hatten wie die gesamte Opposition. Am Donnerstag aber erklärte Gowin: „Die Lösung ist gut und garantiert eine sichere und vollkommen transparente Wahl.“

Ist die Briefwahl vereinbar mit der Verfassung?

Was die Entscheidung allerdings nicht garantiert, ist eine verfassungsgemäße Wahl. Das zumindest ergibt sich aus der geltenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Demnach dürfen die Wahlgesetze sechs Monate vor einem Urnengang nicht mehr geändert werden, was bei einem Termin im Sommer weiterhin der Fall wäre. Oppositionsführer Borys Budka von der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) wandte sich am Donnerstag an die Abgeordneten der Regierungsfraktion: „Das ist der Offenbarungseid. Haben Sie eigentlich noch eine Vorstellung von Demokratie und Aufrichtigkeit?“ Die meisten Kommentatoren in Warschau waren sich in den vergangenen Tagen zumindest in einer Frage einig: Der gesamte Streit um die Wahl, mitten in einer Zeit einer katastrophalen Bedrohungslage durch ein Virus, hat einmal mehr gezeigt, wie abgrundtief gespalten Polen politisch ist.