Das US-Militär schickt zusätzliche Soldaten nach Kabul. (Symbolfoto) Foto: AFP/SAJJAD HUSSAIN

Der rasante Vormarsch der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan hat auch die USA überrascht. Im Raum steht die Frage: Könnte auch die Hauptstadt Kabul fallen? Die USA ergreifen nun Vorsichtsmaßnahmen – und schicken auch Truppen.

Washington - Die USA wollen angesichts des Vormarsches der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan ihr Botschaftspersonal in den kommenden Wochen auf ein Minimum reduzieren. Außerdem sollen 3000 zusätzliche Soldaten zur Sicherung des Flughafens nach Kabul verlegt werden, um den geordneten Abzug von Teilen des Personals zu unterstützen, teilten das US-Außen- und Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Die Botschaft in Kabul bleibe aber an ihrem derzeitigen Standort geöffnet, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price. „Wir haben vor, unsere diplomatische Arbeit fortzusetzen“, so Price.

„Es handelt sich nicht um eine Evakuierung. Es handelt sich nicht um einen vollständigen Rückzug“, betonte der Sprecher. Er machte keine Angaben dazu, wie viele Menschen die Botschaft verlassen werden. Man werde sich auf eine „diplomatische Kernpräsenz“ vor Ort beschränken. Die Taliban hätten klar und deutlich gesagt, dass sie nicht darauf aus seien, diplomatische Einrichtungen anzugreifen, so Price. Man werde sich auf die Worte einer Gruppe wie der Taliban aber nicht verlassen. Aus diesem Grund treffe man nun „umsichtige Vorsichtsmaßnahmen“.

US-Militär will Afghanistan bald verlassen

Das US-Militär will Afghanistan bis Ende August verlassen. Zurückbleiben sollten dem Vernehmen nach nur einige hundert Soldaten - vor allem um die US-Botschaft zu schützen. Der Flughafen in Kabul wurde bisher vor allem von türkischen Soldaten im Rahmen des Nato-Einsatzes in Afghanistan gesichert, dort halten sich aber auch US-Soldaten auf. Der sichere Betrieb des Flughafens gilt - zusammen mit einer medizinischen Versorgung - als Voraussetzung dafür, dass Botschaften und internationale Vertretungen im Land bleiben können.

Das Ausmaß der zeitweiligen Verstärkung der US-Militärpräsenz in Kabul liege bei etwa 3000 Soldaten, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby. Es gehe darum, die Reduzierung des US-Botschaftspersonals zu unterstützen. Die Truppen sollten in 24 bis 48 Stunden vor Ort sein, sagte er.

Abzugsplan besteht weiterhin

Das US-Militär wird auch rund 1000 zusätzliche Soldaten auf einen Stützpunkt ins Emirat Katar verlegen, erklärte Kirby. Aus dem US-Bundesstaat North Carolina soll zudem ein Kampfverband einer Luftlandedivision nach Kuwait verlegt werden, falls weitere Unterstützung nötig sein sollte. Die 3500 bis 4000 Soldatinnen und Soldaten des Verbandes der sogenannten 82nd Airborne aus Fort Bragg sollten „kommende Woche“ dort ankommen. Das Land bis Ende August zu verlassen, sei auch weiter der Plan, so Kirby.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung zum Abzug hatten die USA noch rund 2500 Soldaten in Afghanistan. Inzwischen ist der Abzug eigentlich zu mehr als 95 Prozent abgeschlossen. Die Bundeswehr und die Soldaten anderer Nato-Länder haben Afghanistan bereits verlassen. US-Präsident Joe Biden hatte seine Abzugspläne Anfang der Woche verteidigt und erklärt, diese nicht zu bedauern. Die Afghanen müssten nun „selbst kämpfen, um ihren Staat kämpfen“, hatte er gesagt. Ihre Streitkräfte seien den Taliban militärisch überlegen, auch in Bezug auf die Truppenstärke. „Aber sie müssen auch kämpfen wollen“.

Weitere Stadt an die Taliban gefallen

Am Donnerstag war die drittgrößte Stadt Afghanistans, Herat, an die Taliban gefallen. Auch die zweitgrößte Stadt Kandahar ist schwer umkämpft. Deutschland, die USA, Großbritannien und andere Länder haben ihre Bürger zuletzt wegen der deutlich verschlechterten Sicherheitslage zur schnellstmöglichen Ausreise aus Afghanistan aufgerufen.

Die Internationale Gemeinschaft wird nach Angaben der US-Regierung keine neue afghanische Regierung anerkennen, falls diese die Macht mit Gewalt an sich gerissen haben sollte. Diese „Botschaft an die Taliban“ werde später auch in einer gemeinsamen Stellungnahme mit mehreren internationalen Partnern, darunter auch Deutschland, ausgedrückt werden, kündigte Außenministeriumssprecher Price an. Eine gewaltsame Machtübernahme durch die Taliban würde Afghanistan international isolieren, woraufhin auch Hilfszahlungen eingestellt würden, betonte Price.

Seit dem Beginn des US- und Nato-Truppenabzugs der USA Anfang Mai haben die Taliban massive Gebietsgewinne verzeichnet. Die Islamisten hatten von 1996 bis zur US-geführten Intervention 2001 weite Teile Afghanistans unter ihrer Kontrolle.