Maria Sewerentschuk und ihr Sohn Artem sprechen in ihrer Wohnung am Stadtrand der ukrainischen Hauptstadt Kiew Foto: dpa/Kay Nietfeld

Eine 33 Jahre alte Ukrainerin und ihr neun Jahre alter Sohn kommen als Geflüchtete nach Stuttgart. Doch anstatt zu bleiben, kehren sie wieder nach Kiew zurück – trotz Luftalarmen und Angriffen. Warum?

Die Ukrainerin Maria Sewerentschuk erinnert sich an ihr kurzes Leben als Geflüchtete mit gemischten Gefühlen. Gemeinsamt mit ihrem Sohn Artem lebte sie in Stuttgart, jetzt sind die beiden wieder zurück in einer Zwei-Raum-Wohnung in Kiew.

Der Neunjährige habe in der baden-württembergischen Hauptstadt Schwimmen gelernt, sei als Fußball-Fan beim VfB gewesen und habe das Mercedes-Benz-Museum besucht – das werde sie nie vergessen, sagt die 33-Jährige. Sie zeigt zufrieden Videos auf dem Handy. Aber klar wird schnell auch, dass zuhause trotz Krieg alles vertrauter ist.

Vor allem sei es aus Deutschland schwer gewesen, zu ihrem Mann Artem, der als Verteidiger blieb, Kontakt zu halten. „In Deutschland ist es nicht so wie bei uns, dass man günstige Flatrates und praktisch überall Internet hat“, erinnert sich die Verwaltungsangestellte. Ihr Sohn erzählt, ihm habe gefallen, dass es anders als in Kiew ein Leben ohne Luftalarm gibt und die Schüler in den Pausen auf den Hof dürfen. In Deutschland hat Maria, wie sie erzählt, die Bürokratie etwas überrascht: „Wir streben in die Europäische Union, und mir schien immer, dass bei uns die Amtssachen lange dauern.“

Fast nicht mehr geschlafen

In ihrem Zuhause in Kiew sind aber auch die Erinnerungen an den Kriegsbeginn vor einem Jahr am 24. Februar lebendig. „Ich bin aufgewacht, weil ich gegen fünf Uhr morgens den Lärm eines Kampfjets hörte“, sagt sie. Ihr Mann Artem saß vor dem Fernseher und sagte: „Der Krieg hat begonnen.“ Weil sich Staus bildeten durch die vielen Flüchtenden entschieden sie sich aber, erst einmal in Kiew zu bleiben.

„Dann haben wir fast nicht mehr geschlafen, die Luftalarmsirene war ständig zu hören, von den nahen Raketeneinschlägen wackelte das ganze Haus“, beschreibt Maria die Situation. Zwei Nächte verbrachten sie mit vielen anderen Menschen im feuchten und kalten Keller. „Du kannst nicht essen, nicht schlafen, nichts mehr machen.“ Maria entschloss sich, mit dem Sohn zu Verwandten in die Westukraine im Gebiet Iwano-Frankiwsk zu fliehen.

Schlimme Szenen auf dem Bahnhof in Kiew

Der Abschied von Ehemann und Vater Artem fiel beiden schwer. „Uns war nicht klar, wann wir uns wiedersehen und ob wir uns überhaupt wiedersehen.“ Auf dem Bahnhof in Kiew spielten sich dabei dramatische Szenen ab – Gedränge, Menschen mit Gepäck und Haustieren, schreiende Kinder, Abschiedstränen. Nach Stuttgart kamen sie dann im März 2022, weil eine Tante dort sie einlud. „In Deutschland hatten wir das erste Mal das Gefühl, dass die Anspannung abfiel.“ Sie blieben drei Monate.

Dann kam die Nachricht, dass ihr Mann in die Ostukraine versetzt werde. Maria und Sohn Artem kehrten nach Kiew zurück, um ihn noch einmal zu sehen. Und sie blieben trotz des weiter harten Alltags mit Luftalarmen und gelegentlichen Angriffen. Maria sieht es als ihren Beitrag für ihr Land, ihrem Mann von Kiew aus beizustehen. Die Verluste der ukrainischen Einheiten seien „schrecklich“, sagt sie. „Doch er wird bis zum Sieg bei der Armee bleiben.“