Die Königstraße ist voll, aber die Läden sind schlecht besucht. Foto: Leif Piechowski/Leif-Hendrik Piechowski

Trotz einer weiteren Lockerung klagen die Händler in Stuttgarts Haupteinkaufsmeile über geringe Umsätze. Kritik gibt es an den geltenden Regelungen, die zu teils langen Schlangen vor den Geschäften führt. Um ein Ladensterben zu verhindern, fordert Citymanager Hahn verkaufsoffene Sonntage.

Stuttgart - Bestes Wetter, Brückentag und durch ein weiteres Urteil gegen die Zutrittsbeschränkung eine zusätzliche Erleichterung für den Handel: Normalerweise sollte das die Stimmung heben. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Ich bin gerade über die Königstraße gelaufen“, berichtet Wittwer-Thalia-Geschäftsführer Rainer Bartle: „Ich habe eine volle Straße, aber leere Läden erlebt.“

Die Einschätzung teilt City-Manager Sven Hahn: „Ich habe viel mit den Leuten in der Stadt gesprochen“, sagt er, „aber inzwischen ist die Stimmung schon so, dass man glücklich wäre, wenn das Umsatz-Minus im Vergleich zum Vorjahr nur 20 oder 30 Prozent betrüge.“ Von einem Umsatzplus wagt keiner zu träumen. Und das obwohl die Bedingungen Schritt für Schritt besser wurden. Seit die Gastronomie wieder offen ist, verweilen Passanten länger. Hinzu kommt nun, dass die strenge Zutrittsbeschränkung durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) aufgehoben worden ist. Galt bisher, dass in einem Geschäft auf 20 Quadratmetern Verkaufsfläche nur eine Person darf, ist nun ein Kunde pro zehn Quadratmeter Ladenfläche erlaubt.

Kein Abstand in der Schlange

Eine Stichprobe in der Innenstadt zeigt: Die neue Regel zeigt kaum Wirkung. Und das aus verschiedenen Gründen. Eine Schuhverkäuferin am Marktplatz nennt einen: „Hier geht es um unsere Existenz. Am Ende des Monats muss mein Arbeitgeber mein Gehalt zahlen. Deshalb waren hier schon gleichzeitig zehn Kunden im Laden.“ Andere wiederum kennen die jeweils neueste Coronaverordnung nicht. Wo aber die Regeln konsequent umgesetzt werden und die Nachfrage hoch ist, kommt es zum Louis-Vuitton-Phänomen, das im Dorotheen-Quartier zu bestaunen ist: Acht Kunden im Laden, rund 20 vor der Tür in der Schlange.

Nun mag die Nachfrage nach Luxustaschen etwas Besonderes sein, aber Gleiches lässt sich auch im Milaneo beobachten. Die Store-Managerin von Hallhuber im Dorotheen Quartier kann das bestätigen. Denn ihr Arbeitgeber hat auch in dortigen Einkaufscenter eine Filiale. „Dort ist es extrem. Dort herrscht Traffic“, sagt sie. Mit dem englischen Wort für Verkehr meint sie die hohe Passanten-Frequenz. „Vor Zara ist es die Hölle“, erklärt sie. Die Schlangen vor diesem Textilhändler oder vor Primark ziehen sich ins Centerinnere. „Ob das im Sinne des Infektionsschutzes ist?“, fragt Citymanager Hahn spitz und gibt die Antwort gleich selbst: „In den leeren Läden ließe sich viel besser schützen, als in den Schlangen, wo der Abstand mitunter nicht eingehalten wird.“

Einkaufen ist „unsexy“

Ins gleiche Horn stößt Osiander-Chef Christian Riethmüller: „Wenn ich mir die Demos oder andere Bereiche des Lebens anschaue, kann ich das Ganze nicht mehr nachvollziehen. So wird das Einkaufen absolut unsexy.“ Er weiß, welche Geduld Kunden teilweise aufbringen müssen, um an den gewünschten Artikel zu kommen. Ein Test bei einem Textilhändler im Milaneo zeigt es: Wer dort die erste Hürde in der Schlange nach zehn Minuten gemeistert hat, steht vor der nächsten – wo findet man eine Umkleidekabine, die nicht besetzt oder gar abgeriegelt ist. Wer dies alles geschafft hat, ist allerdings noch nicht am Ziel. Die Schlange an der Kasse raubt weitere zehn Minuten.

„So was machen die Leute mal ein paar Wochen mit – aber nicht ewig“, weiß Buchhändler Riethmüller. Daher schaut er wie viele im Handel mit bangem Blick gen Weihnachten. Allgemein gilt: In dieser Zeit werden bis zu 40 Prozent des Jahresumsatzes gemacht. Sollte sich die Lage bis dahin nicht normalisiert haben, könnte es auch den einen oder anderen Großen erwischen.

Nicht zuletzt deshalb fordert Sven Hahn von der Politik wirksame Hilfen für den Handel. „Man muss den Händlern das Geschäft leichter machen. Und wir brauchen in der nächsten Zeit auch die Sonntage, um all die Verluste einigermaßen kompensieren zu können“, fordert der Citymanager. Aus diesem Grund dringt er darauf, die Anlassbezogenheit für einen verkaufsoffenen Sonntag außer Kraft zu setzen: „Wenn wir das schaffen würden und dazu ein paar Mal einen kostenlosen ÖPNV anbieten könnten, dann wären das echte und wirksame Maßnahmen gegen ein drohendes Ladensterben.“