Mitte März kommt die Impfpflicht für Pflegeberufe. Foto: dpa/Fabian Sommer

Kerstin Schlögl-Flierl, Mitglied des Deutschen Ethikrats, hat bei einer Online-Veranstaltung der VHS Stuttgart über die Impfpflicht informiert.

Stuttgart - „Er liebt mich, er liebt mich nicht ...!“ Mit dem Gänseblümchenspiel verglich SWR-Moderatorin Geli Hensolt die aktuell kontrovers geführten Diskussionen zur Impfpflicht. Nur, dass es beim Zupfen der Blütenblätter um „sie kommt, sie kommt nicht, bald, halb ...“ gehe. Die Wirtschaftsredakteurin führte durch eine Online-Veranstaltung, zu der die Volkshochschule Stuttgart mit dem Rotary Club Stuttgart-Rosenstein auf Initiative der VHS-Direktorin Dagmar Mikasch-Köthner geladen hatte: Kerstin Schlögl-Flierl, seit 2020 Mitglied des Deutschen Ethikrats und Inhaberin des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Universität Augsburg, sprach über den „Stand der Diskussion zur Impfpflicht gegen das Coronavirus“ und beantwortete Chatfragen.

Gesetze und Impfen brauchen Zeit

Rückblick: Die Bundesregierung hatte den Deutschen Ethikrat am 2. Dezember 2021 um eine Einschätzung gebeten. Das multidisziplinäre Gremium sprach sich am 22. Dezember 2021 in einer „Ad-Hoc-Empfehlung“ mehrheitlich für eine allgemeine Impflicht aus. Diese hatte es zuvor abgelehnt. „Ein hartes Weihnachtsgeschenk! Wir bieten Orientierung zu Lebensfragen, unsere Vorsitzende Alena Buyx ist im Corona-Expertenrat, sonst geben wir nichts ad-hoc ab“, so die Professorin. Die Empfehlung gründe auf aktueller Ungewissheit, geänderter Faktenlage durch die Omikron-Variante, Daten- und Wissenslücken. Die erwartete hohe Impfbereitschaft habe sich nicht erfüllt. „Die notwendige Ziel-Impfquote, nun 90 Prozent, ist nicht erreicht.“ Von den über 60-Jährigen seien 2,8 Millionen ungeimpft, etwa wegen sich wandelnden Informationen und Desinformationskampagnen.

Doch keiner könne sagen, was im Herbst passiere und grassiere. „Wir müssen vorbereitet sein, Werkzeugkoffer und Gesetz auf Halde haben.“ Zumal Gesetze und Impfen Zeit benötigten.

Meinungsänderung nicht leicht gemacht

„Wir haben uns die Meinungsänderung nicht einfach gemacht. Unser Dokument ist auf der Ethikrat-Homepage einsehbar.“ Demnach sprachen sich 20 von den 24 Ethikratsmitgliedern für die Ausweitung der einrichtungsbezogenen Impflicht aus – in zwei Positionen. Sieben waren für eine Risikodifferenzierung, also eine Impfung 60 und 50 sowie für Vorerkrankte, 13 Mitglieder votierten für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. „Ich war für die Risikodifferenzierung“, so die Theologin auf Nachfrage. „Die Impfpflicht darf kein Impfzwang, muss Ultima Ratio, das allerletzte Mittel, sein! Zuvor muss alles ausgeschöpft sein.“

Daher habe der Ethikrat flankierende Maßnahmen formuliert: aufsuchende, multiperspektivische, mehrsprachige Impfkampagne, mehr Beratungsmöglichkeiten, ein Impfregister, um valide Daten zu bekommen. Und: Die Pflicht müsse umsetzbar sein. Stets mitzudenken seien ethisch relevante Grundsätze wie Freiheit, Selbstbestimmungsrecht auf körperliche Unversehrtheit, Nichtschädigung, Gerechtigkeit, Folgenverantwortung, Solidarität. „Die Grundfrage lautet, wo persönliche Freiheit endet: Wenn sie jemand anderem schadet.“

Dänen haben mehr Vertrauen in ihren Staat

Auf die Frage, warum andere Länder, bessere Impfquoten hätten, empfahl Schlögl-Flierl das „COSMO — COVID-19 Snapshot Monitoring“ der Universität Erfurt. „Dramatisch hohe Wellen und eindrückliche Bilder etwa aus Bergamo oder Straßburg haben dazu beigetragen.“ In Dänemark wiederum hätten die Bürger mehr Vertrauen in den Staat, die Kommunikation sei besser. Während hier vulnerable Gruppen priorisiert wurden, habe man anderswo dem Alter nach, ab 90 herunter geimpft. „Es gab mehr aufsuchende Impfangebote, in Spanien wurden sie personalisiert aufs Handy geschickt.“ Derlei – und dem Impfregister – stünde in Deutschland der Datenschutz entgegen. „Der ist essentiell, aber es geht immer um Verhältnismäßigkeit.“