Die Reform gilt als Erfolg von Irene Montero, Spaniens Gleichstellungsministerin – hier bei einer Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei im April 2021. Foto: dpa/I.Infantes.

Spanien will sein Sexualstrafrecht verschärfen: Alle beteiligten Personen müssen demnach sexuellen Handlungen künftig ausdrücklich zustimmen. Das Gesetz ist Folge eines Vergewaltigungsfalls, der im Land hohe Wellen geschlagen hatte.

Das spanische Parlament hat am Donnerstagabend mit großer Mehrheit eine Reform des Sexualstrafrechts befürwortet. Der entscheidende Satz des Gesetzentwurfs ist folgender: „Einwilligung liegt nur dann vor, wenn sie aus freien Stücken manifestiert wurde, durch Handlungen, die – die Umstände des Falls berücksichtigend – den Willen der Person eindeutig zum Ausdruck bringen.“ An dieser Formulierung dürften die Gesetzgeber besonders lange gefeilt haben. Sie ist die Übersetzung eine Demonstrationsmottos – Nur Ja ist Ja! – in juristische Sprache. Die spanische Gleichheitsministerin Irene Montero sagte voller Stolz, die feministische Bewegung habe „wieder einmal Geschichte gemacht“. Die Reform muss noch vom Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, abgesegnet werden, bevor sie in Kraft tritt.

Auslöser für das Reformvorhaben war ein Fall während der Sanfermines, des Stierhatzfestivals, in Pamplona 2016, bei dem sich fünf junge Männer über eine Achtzehnjährige hermachten. Weil sie selbst die Tat filmten, gab es für das Gericht reichlich visuelles Beweismaterial: Die junge Frau zeigte sich nicht klar unwillig, aber offenbar willenlos. In erster Instanz wurden die Männer wegen Missbrauchs zu neun Jahren Haft verurteilt. Das zuständige Gericht sah den Tatbestand der Vergewaltigung als nicht gegeben an, weil es, „weder Schläge noch Drohungen“ gegeben habe und das Opfer passiv geblieben sei. Das Urteil löste Proteste im ganzen Land aus. In zweiter Instanz wurden die Männer wegen Vergewaltigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Zwischenzeitlich entstand das Motto „Nur Ja ist Ja!“.

Ohne Einwilligung wird die Penetration zur Vergewaltigung

Es war die damals regierende konservative Volkspartei (PP), die eine Reform versprach, die nun von der Linksregierung umgesetzt worden ist. Das neue Sexualstrafrecht unterscheidet nicht mehr zwischen Missbrauch – Fällen ohne Gewaltandrohung oder -anwendung – und sexueller Aggression. Entscheidend ist künftig allein die beider- oder mehrseitige Einwilligung. Wenn die fehlt, gilt jeder sexuelle Akt als Aggression. Vergewaltigung wird künftig jede Penetration genannt, in die eine oder einer der Beteiligten nicht einwilligt, egal ob dabei physische Gewalt angewendet wird.

Die PP hat in den vergangenen Jahren umgedacht. Mit der Rechtsaußenpartei Vox stimmte sie am Donnerstag gegen die Reform. Die PP-Abgeordnete Marta González drückte die Befürchtung aus, der neue Gesetzestext bringe „die Unschuldsvermutung in Gefahr“ und kehre die Beweislast um.

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Die richterliche Praxis wird zeigen müssen, ob an der Befürchtung etwas dran ist – doch solange die Richter ihre Arbeit ernst nehmen, wohl nicht. Das oberste Beratungsgremium der Regierung, der Staatsrat, neigt in einem Bericht vom vergangenen Sommer eher zu der Ansicht, dass die Reform in der Praxis gar keine Veränderungen bringt. „Das Problem bei der Berücksichtigung der Einwilligungsklausel wird wie bisher das des Beweises sein“, steht in dem Bericht. In der Regel stehen, anders als im Fall von Pamplona, keine Aufnahmen zur Verfügung, die den Hergang des Sexualkontakts dokumentieren.

Gleichheitsministerin Montero unterstellte der spanischen Justiz am Donnerstag zum wiederholten Mal, eine „patriarchalische“ zu sein. „Wir wollen die Vergewaltigungskultur hinter uns lassen.“ Es ist nicht recht klar, was sie damit meint. Laut Statista, das Zahlen der EU und der UN zugrunde legt, ist Spanien einer der EU-Staaten mit den wenigsten angezeigten Vergewaltigungsfällen. Entsprechend niedrig ist die Zahl der verurteilten Vergewaltiger. Spaniens Nationales Statistikinstitut (INE) zählt für das Jahr 2017 fünf Fälle, 2018 acht, 2019 sechs und 2020 sieben Fälle. Sämtliche abgeurteilten Sexualdelikte bewegten sich zwischen 548 Fällen 2019 und 332 Fällen 2017.