Für den Imbiss in der Einwegverpackung, egal ob die Schüssel aus Plastik oder aus ökologischem Material ist, werden in Tübingen 50 Cent Steuer fällig. Damit soll ein Anreiz für mehr Mehrweg geschaffen werden. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Seit wenigen Tagen gibt es in Tübingen eine Verpackungssteuer. Ob diese außer für höhere Preise auch für Nachhaltigkeit steht, muss sich noch zeigen. Eine Vor-Ort-Erkundung zwischen jugendlicher Gleichgültigkeit und Lob.

Tübingen - Ganz Deutschland könnte dieser Tage den Blick auf Tübingen richten, denn die kleine Stadt wagt, was es bundesweit noch nirgendwo gibt: die Einführung einer Steuer auf Einwegverpackungen. Für die Pommes zwischendurch oder für den Kaffee zum Mitnehmen werde viel zu viel Müll produziert, ärgert sich Tübingens grüner OB Boris Palmer und ist davon überzeugt, dass die seit Jahresbeginn fällige Abgabe die Wende in der Wegwerfgesellschaft bringen wird. Doch er könnte sich irren, ein ökologisches Gewissen lässt sich nicht verordnen. Es folgt eine Vor-Ort-Erkundung zwischen jugendlicher Gleichgültigkeit, Lob für die Anti-Müll-Initiative und ungläubigem Kopfschütteln an schwäbischen Metzgertheken ob des Bürokratismus à la Tübingen.

Im Café stapeln sich die Pfandbecher

Erste Station: die Filiale eines Traditionscafés schräg gegenüber vom Bahnhof, ein Cappuccino. „Pfand statt Müll“ ist auf einer Postkarte am Tresen zu lesen, und die junge Verkäuferin fragt bei der To-go-Bestellung, welches Gefäß ich will. Hinter ihr stapeln sich die Mehrwegbecher des in Tübingen bereits etablierten Recup-Pfandsystems. Ein Euro Leihgebühr koste der Becher, er könne nach dem Kaffeegenuss vielerorts in der Innenstadt wieder zurückgegeben werden, alles ganz praktisch und umweltfreundlich. „Der Einwegbecher kostet 60 Cent extra“, erklärt die Verkäuferin.

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Pro Becher, Box oder Schale gehen netto 50 Cent an die Stadt, pro Besteckteil sind es 20 Cent. Beim Café Lieb wird die Mehrwertsteuer drauf gerechnet und gerundet, so ganz genau könne sie den 60-Cent-Preis aber nicht erklären. Sie freut sich, weil ich Recup wähle, streut Kakaopulver auf den Milchschaum und zeigt mir die Neuerungen in der gekühlten Auslage: „Salat in der Glasschüssel, drei Euro Pfand“ und „Obst im Pfandglas“. Zum Abschied sagt sie noch: „Ich bin froh, dass wir das jetzt auch machen, dann gibt es weniger Plastik.“

Zweite Station: McDonald’s am Ortsausgang Richtung Reutlingen, Pommes mit Ketchup. Die Schlange am Drive-in-Schalter ist lang, ein paar Jugendliche stehen zwischen den Autos an. Bei Drive-in-Bestellungen muss keine Steuer bezahlt werden. Angeblich, weil die Burger und Menüs größtenteils außerhalb der Stadt konsumiert werden. Wirklich Sinn macht das nicht. Der meiste Müll fällt genau dort an. In der Filiale sind die meisten Tische leer, der Zutritt zum Innenraum ist mit einer Kette versperrt, der 2G-plus-Kontrollstopp. Eine Mitarbeiterin checkt meinen Impfstatus in der CovPass-App auf dem Handy. Ich bestelle Pommes klein für 2,49 Euro zum Mitnehmen und wundere mich. Kein Aufschlag für die Papiertüte für die Fritten und kein Aufschlag für die große Papiertüte, in die alles hineingepackt wird. Die Steuer wird nicht wie sonst fast überall in der Stadt an die Kundschaft durchgereicht. „Sie zahlen nicht mehr als früher“, sagt die Mitarbeiterin. Näheres wisse sie leider auch nicht.

Das Fast-Food-Geschäftsmodell steht auf dem Spiel

Die Franchisenehmerin der Filiale, Susanne Heppert, klärt auf: „Wir haben die Preise in unserem Restaurant in Tübingen noch nicht angepasst.“ Sie hat beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim Klage eingereicht gegen die Steuer, unterstützt wird sie von der McDonald’s-Zentrale. Schließlich geht es um nichts Geringeres als das Fast-Food-Geschäftsmodell an sich. Mehrweg und McDonald’s – das passt so wenig zusammen wie Palmer und Porsche. So war es zumindest bisher, so muss es nicht bleiben. Denn wenn die Mehrwegpflicht 2023 kommt, muss auch der Fast-Food-Konzern beim Außer-Haus-Verkauf umweltfreundliche Mehrweg-Verpackungen anbieten.

Benjamin, 16 Jahre alt und „Sparfuchs“, wie er über sich sagt, findet das mit dem Pfand gut. Vor sich hat er zwei Big Mac, die Getränke sind ihm zu teuer. Er sitzt mit Freunden im Außenbereich des McDonald’s. „Ich würde da mitmachen“, sich das Pfand zurückzuholen mache nicht mehr Umstände, als den Müll in den Abfall zu werfen.

Mit der Tupperware zum Metzger

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Dritte Station: eine inhabergeführte Metzgerei, ein warmer Leberkäs im Wecken. Die Verkäuferin hat nichts übrig für die neue Steuer und die dazugehörige Bürokratie. „Das macht für das Wickelpapier 54 Cent, für die Papiertüte weitere 54 Cent, wer soll das bezahlen?“ Sie schlägt vor, das Leberkäsweckle in eine Serviette zu packen, das sei gratis. Die städtische Verordnung habe 32 Seiten und keiner blicke mehr durch, klagt sie. An der warmen Theke holten sich viele ihr Mittagessen in Einwegboxen, die würden jetzt halt mehr zahlen müssen. Selbstverständlich könnten sich die Kunden auch ihre mitgebrachte Tupperware füllen lassen.

Letzte Station: Teelandplus in der Altstadt, ein Bubble Tea. Kaum irgendwo werden so viele Plastikbecher mit Deckel und Strohhalm rausgetragen wie hier. Drei Jugendliche haben drei Becher in den Händen, Mango Green Tea mit Erdbeerfruchtkugeln und andere Leckereien für fast 20 Euro. „Ist das nicht viel Müll?“, frage ich. „Ja schon“, sagt die Schülerin, „aber es ist so wahnsinnig lecker.“ In der Jackentasche hat sie einen Pfandzettel über drei Euro, die sie bei Rückgabe der Teeland-Becher samt Deckel und Strohhalm erstattet bekommt. „Wir werfen vermutlich alles weg“, sagt sie; der höhere Preis sei ihr egal. Wieder zum Laden zurückzulaufen, sei einfach zu umständlich.