Der Stillstand macht manche Menschen reizbar. Foto: imago/ingimage

Der Beginn der Pfingstferien ist Stauzeit. Und kommen Menschen im Auto nicht voran, kehren sie gerne die dunkelsten Züge ihrer Persönlichkeit hervor. Warum das so ist – und was wir dagegen tun können.

Das Gefühl der Freiheit ist beim Start in den Urlaub oft unendlich. Das Auto ist gepackt, das Ziel im Kopf, mit der Aussicht nach süßen Tagen am Meer oder in den Bergen startet man den Motor und rollt los. Dann steht man erst mal an der roten Ampel, dann an noch einer, und bei der Auffahrt auf die Autobahn beginnt auch schon der Verkehr zu stocken. Irgendein Wagen mit dicken Auspuffrohren und breiten Reifen (Sportpaket!) drängt sich noch schnell vor, nur um direkt vor einem durch den zähen Verkehr zu zuckeln. Manchmal schnellt in diesen Situationen der Mittelfinger nach oben, man brüllt ein mit A beginnendes Schimpfwort durch das geschlossene Fenster, das der andere sowieso nicht hört.

Im Auto werden wir zu anderen Menschen

Im Straßenverkehr wird der menschlichen Psyche ohnehin schon viel abverlangt. Und im Stau wird zusätzlich aus der großen Freiheit ein fremdbestimmter Stillstand. „Auf der Autobahn sind Sie in Ihrem Auto ein Gefangener“, sagt Michael Schreckenberg. Man komme weder voran noch könne man einfach aussteigen, meint der Physiker von der Universität Duisburg-Essen, der einer der führenden Stauforscher in Deutschland ist. „Wenn dann einer von hinten angeschossen kommt und sich reindrängelt, hat man das Gefühl, dass man selbst angegriffen worden ist, deswegen reagiert man dann auch heftiger“, sagt Schreckenberg.

„Grundsätzlich wird ein Mensch, der ein Auto besteigt, ein anderer, als er im zivilen Leben ist. Jemand, der sonst ganz unauffällig ist, kann im Fahrzeug plötzlich zu einem ganz anderen Typus mutieren“, sagt Schreckenberg. Leute würden sich im Auto auch mehr Sachen herausnehmen, weil man anonym sei und die Rechtfertigung wegfalle – zeige man jemanden den Mittelfinger, könne einen niemand fragen, warum man das gerade gemacht hat, sagt Schreckenberg.

Staus begünstigen Ausraster ebenso wie soziale Medien

Dazu fehlt im Auto der Augenkontakt. Dieser stellt aber kooperatives Verhalten her, wie etwa eine Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Biologie in Leipzig ergab. Ohne Augenkontakt handeln wir egoistischer. Ein Verkehrsexperte des ADAC hat das gegenüber der ARD mal mit den Kommentarspalten in sozialen Medien verglichen: Auch dort äußern sich die Menschen hemmungsloser, weil sie sich nicht in die Augen schauen müssen und anonym sind.

Die Aggressivität rühre auch daher, dass man sich im Auto sehr leicht übervorteilt fühle, sagt Schreckenberg: „Man denkt immer, die andere Spur wäre schneller. Weil Fahrzeuge, die Sie überholt haben, fahren vor Ihnen und prägen sich daher stärker ein. Fahrzeuge, die Sie selber überholen, verschwinden hinter Ihnen. Man hat immer das Gefühl, dass man von doppelt so vielen Autos überholt wird, wie man selber überholt – aber das ist nur ein psychologischer Effekt.“

Ein Versuch von Schreckenberg hätte gezeigt, dass durch häufiges Wechseln auf die schnellere Spur maximal drei bis vier Minuten herausholen könne, dafür aber den gesamten Verkehrsfluss störe.

Für Staus reichen auf ausgelasteten Straßen schon kleine Störungen: Irgendwo verlangsamt sich der Verkehr, etwa an Anschlussstellen, Steigungen, durch die tief stehende Sonne. Das führt dazu, dass das nachfolgende Auto auch bremsen muss, dann das nächste – und immer weiter. Eine sogenannte Stauwelle entsteht. Japanische Forscher haben in einem Versuch mit 22 im Kreis fahrenden Autos gezeigt, dass dazu schon kleine Tempoveränderungen reichen.

Schon eine kleine Störung kann eine Stauwelle auslösen

Diese Stauwellen pflanzten sich im dichten Verkehr mit etwa 15 bis 20 Stundenkilometer immer weiter nach hinten fort, sagt Michael Schreckenberg. Das könne sich über weite Strecken ziehen, oft komme der Verkehr an Stellen ins Stocken, die weit vom Auslöser weg sind. „Das Schlimme ist: Diese Bereiche, wo der Verkehr zäh fließt, wirken wie Pumpen, da kommt eine Welle nach der anderen. Die Leute beschleunigen aus einer Stauwelle raus, sind erlöst, aber unkonzentriert und fahren in die nächste Stauwelle rein“, sagt Schreckenberg.

Was kann man selbst dazu beitragen, dass der Verkehr möglichst flüssig läuft? „Wenn man in der Staukolonne fährt, sollte man nicht die Spur dauernd wechseln und man sollte auch nicht die Lücke zum Vordermann schließen, um nicht stark abbremsen zu müssen, wenn dieser langsamer wird. Und man sollte möglichst harmonisch auf die Autobahn auffahren, also erst vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn wechseln, wenn man die Geschwindigkeit des Fließverkehrs erreicht hat“, rät Schreckenberg. Etwa fünf bis zehn Prozent der Autofahrer würden aber mit allen Mitteln probieren, schneller zu sein als alle anderen, sagt Schreckenberg. Das reiche aus, um Stauwellen auszulösen.