Italiens Ministerpräsident Mario Draghi erklärte, seine Regierung sei sehr zufrieden mit der Pariser Entscheidung, die Ex-Terroristen zu verhaften Foto: AFP/ALBERTO PIZZOLI

Rom verlangt seit Jahrzehnten von Frankreich die Auslieferung von ehemaligen Mitgliedern der „Roten Brigaden“. Nun kommt die Wende in dem ewigen Streit.

Paris - Die Männer und Frauen fühlten sich sicher. Seit Jahrzehnten lebten die Italiener in Frankreich, bis nun plötzlich Polizisten vor ihren Haustüren standen und die Handschellen klickten. Spezialeinsatzkräfte haben am Mittwoch überraschend sieben Ex-Mitglieder der italienischen Terrororganisation „Rote Brigaden“ festgenommen. Drei weitere Menschen, nach denen ebenfalls gefahndet wird, wurden zunächst nicht an ihrem jeweiligen Wohnort angetroffen, zwei von ihnen stellten sich aber später der Polizei. Bis auf diese Erfolgsmeldungen hüllt sich der Élyséepalast, der Sitz des Präsidenten Emmanuel Macron, in ungewohnt tiefes Schweigen. Das dürfte mit der diplomatischen Brisanz der Aktion zu erklären sein.

Die Terroristen finden Unterschluft in Frankreich

Über Jahrzehnte hat die sogenannte „Mitterrand-Doktrin“ das Verhältnis der beiden Staaten schwer belastet. Mit ihrer Hilfe konnten viele Mitglieder der linksextremistischen „Roten Brigaden“ in Frankreich Zuflucht suchen, auch nachdem sie in Italien in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Mordanschläge verübt hatten. Der damalige französische Präsident Francois Mitterand hatte den Ex-Terroristen aus Italien politisches Asyl angeboten. Voraussetzung: Sie mussten glaubhaft der Gewalt abschwören.

Die Regierung in Rom reagierte damals entsetzt auf diesen Schritt. Vor allem die Begründung aus Paris war für die italienische Justiz ein Schlag ins Gesicht. Unter anderem die damals in Italien angewandte Kronzeugenregelung verstoße gegen rechtsstaatliche Prinzipien, hieß es belehrend aus Frankreich. Die gesuchten Terroristen könnten nicht mit einem fairen Prozess rechnen.

Italien war am Rand einer Staatskrise

Der Terror trieb Italien damals an den Rand einer Staatskrise und beeinflusste die gesellschaftliche Stimmung. In den Köpfen der Menschen sind jene Jahrzehnte noch heute als die „bleierne Zeit“ präsent. Zu den spektakulärsten Attentaten gehörte die Entführung und Ermordung des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro im Jahr 1978. Der Politiker wurde zunächst 55 Tage gefangen gehalten und dann kaltblütig getötet. Die Verantwortlichen in Rom reagierten mit großer Härte auf die Angriffe auf Repräsentanten des Staates, Juristen und Journalisten. Im Laufe der Jahre wurden die Gesetze im Kampf gegen den Linksterrorismus verschärft. Es gab Tausende Verhaftungen, Prozesse und Urteile.

In diese Zeit fiel das Angebot Mitterands an die Ex-Terroristen, in Frankreich Asyl zu suchen. Die auch in Frankreich umstrittene „Mitterrand-Doktrin“ wurde später zwar zurückgenommen, doch die untergetauchten ehemaligen Attentäter blieben unbehelligt. Auf dem Schreibtisch des französischen Präsidenten liegen seit jenen Jahren die Gesuche aus Rom, insgesamt 200 Menschen an Italien auszuliefern. Doch nichts geschah.

Überraschender Sinneswandel in Paris

Nun also der Sinneswandel in Paris. Der Entscheidung, die Namen der zehn Verdächtigen an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, sei eine intensive Arbeit zwischen beiden Ländern vorausgegangen, heißt es aus dem französischen Justizministerium. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei seit Jahren mit den italienischen Partnern in Kontakt, die endlich über „diese Terroristen“ richten wollten, erklärte der französische Justizminister Éric Dupond-Moretti. „Ich bin stolz, Teil dieser Entscheidung zu sein, die es Italien hoffentlich erlaubt, nach 40 Jahren ein neues Kapitel seiner Geschichte aufzuschlagen, die mit Blut und Tränen befleckt ist“, so der Minister.

Der Wunsch nach normalen Beziehungen

Entscheidend für die Verhaftungen ist zum einen der Wunsch Frankreichs, die Beziehung zu Italien nicht weiter zu belasten. Zudem wird Frankreich seit einigen Jahren von einer islamistischen Terrorwelle heimgesucht, die bereits mehr als 250 Menschen das Leben gekostet hat. Die Regierung hat bereits mehrmals die Sicherheitsgesetze verschärft. „Frankreich, das selbst vom Terrorismus getroffen wurde, versteht den uneingeschränkten Bedarf der Opfer nach Gerechtigkeit,“ heißt es nun aus dem französischen Justizministerium in Richtung Rom.

Italien reagierte erleichtert auf die Verhaftungen. Ministerpräsident Mario Draghi erklärte, seine Regierung sei sehr zufrieden mit der Pariser Entscheidung. Er sprach von „barbarischen Taten“ der Linksterroristen, die im italienischen Bewusstsein verankert seien. Ob und wann die Ex-Terroristen an Italien ausgeliefert werden können, ist allerdings noch ungewiss.