Der Gerichtshof besteht aus neun Richtern - drei Berufsrichter, drei Richter mit Befähigung zum Richteramt und drei Personen, die diese Befähigung nicht haben (Archivbild). Foto: dpa/Marijan Murat

In Baden-Württemberg wird AfD-Mann Bert Matthias Gärtner als Mitglied des Verfassungsgerichts gewählt. Viele Politiker sind entsetzt, die Grüne Jugend greift auch die eigene Landtagsfraktion an.

Stuttgart - Die Grüne Jugend Baden-Württemberg hat die Wahl des AfD-Kandidaten in den baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof scharf kritisiert - und dabei auch die eigene Landtagsfraktion angegriffen. „Keine Enthaltung bei Faschisten! Die Abstimmung im Landtag zur Wahl eines AfD-Kandidaten in den BW Verfassungsgerichtshof hätte so nicht ablaufen dürfen“, teilten die Sprecher des Landesverbands Sarah Heim und Aya Krkoutli, am Freitag mit. „Wir verurteilen die Entscheidung, sich bei Mitgliedern der AfD zu enthalten und erwarten eine konsequente und aufrichtige Haltung gegen Rechts.“ Man dürfe sich niemals an die Präsenz der verfassungsfeindlichen AfD in Gremien gewöhnen.

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Der AfD-Kandidat Bert Matthias Gärtner war am Mittwoch im Landtag im dritten Wahlgang zum stellvertretenden Mitglied des Verfassungsgerichts ohne Befähigung zum Richteramt gewählt worden. Gärtner erhielt 37 Ja-Stimmen, 77 Abgeordnete enthielten sich, 32 stimmten mit Nein. Die AfD-Fraktion besteht allerdings nur aus 17 Abgeordneten - Gärtner ist also durch zahlreiche Enthaltungen und auch Ja-Stimmen anderer Parteien ins Amt gewählt worden.

Anfang Juli war Gärtner in zwei Wahlgängen noch klar durchgefallen. Er arbeitet für die AfD-Abgeordnete Carola Wolle. Nach den Wahlschlappen Anfang Juni stellte er sich in einem Brief den Fraktionsvorsitzenden der anderen Parteien vor. Der Brief liegt der dpa vor. Er sei 66 Jahre alt, komme aus Dresden und habe 18 Jahre Militärdienst geleistet, schreibt Gärtner darin. In den vergangenen Jahrzehnten habe er als Geschäftsführer oder leitender Mitarbeiter von Beratungsgesellschaften gearbeitet, vor allem im pharmazeutischen und medizinischen Umfeld. „Ich denke, dass ein dritter und wie ich hoffe positiver Wahlgang, durchaus der Atmosphäre im Hohen Hause zuträglich sein würde“, warb Gärtner in dem Schreiben.

Beim dritten Mal hatte der AfD-Kandidat Erfolg - was heftigen Protest auslöste. Die SPD-Fraktion im Stuttgarter Landtag versicherte, alle Abgeordneten hätten gegen den AfD-Mann gestimmt. Bei der CDU gab es nach eigenen Angaben keine Absprachen für die geheime Wahl. Bei der FDP gab es demnach eine Empfehlung, gegen den AfD-Mann zu stimmen.

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Und die 58 Abgeordneten der Grünen? Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Uli Sckerl, hatte am Donnerstag gesagt: „Es gab aus unseren Reihen ausschließlich Nein-Stimmen und Enthaltungen.“ Hätte die Mehrheit der Abgeordneten Gärtner abgelehnt, hätte die AfD-Fraktion in jeder Sitzung einen neuen Kandidaten nominieren und das Parlament in Wahlgänge zwingen können, so Sckerl. „Eine Nominierungs-Dauerschleife wäre die Folge gewesen - und diese hätte jedes Mal aufs Neue der AfD-Fraktion eine Plattform geboten und Ressourcen gebunden.“

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sprach am Freitag von einem „schwarzen Tag des Landtags von Baden-Württemberg“. „Die Begründung der Grünen, dadurch weitere Wahlgänge vermeiden zu wollen, halte ich für fatal“, sagte Stoch. „Aus Bequemlichkeit darf man keine Verfassungsfeinde in den Verfassungsgerichtshof wählen.“

Neun Richter beim Gerichtshof

Der Gerichtshof besteht aus neun Richtern - drei Berufsrichter, drei Richter mit Befähigung zum Richteramt und drei Personen, die diese Befähigung nicht haben. Der Landtag wählt die Mitglieder und ihre Stellvertreter für neun Jahre. Das Gericht entscheidet unter anderem über die Auslegung der Landesverfassung, über Anfechtungen von Wahlprüfungsentscheidungen und Volksabstimmungen sowie über Streitigkeiten bei Volksbegehren.

„Die Wahl von Gärtner in den Verfassungsgerichtshof ist mehr als nur ein Tabubruch – es ist der baden-württembergische Sündenfall“, betonte die Mannheimer Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut. Der Vorfall werfe Fragen in Bezug auf die Grünen auf. „Die vielen Enthaltungen müssen ja irgendwo herkommen.“

Kritik von der CDU

Die Wahl von Gärtner rief auch in der Südwest-CDU Kritik hervor. Der Landeschef des CDU-Sozialflügels, Christian Bäumler, forderte eine Aufarbeitung der Wahl des AfD-Bewerbers durch die Fraktionen im Landtag. „Wenn sich ein AfD-Mitarbeiter für die dritte Gewalt im Staat bewirbt, erwarte ich von allen Fraktionen ein klares Nein. Mit Enthaltung ist es da nicht getan“, sagte Bäumler, der selbst Richter ist, der Deutschen Presse-Agentur. Die politische Brandmauer gegen Rechts werde durch solche Aktionen beschädigt. „Das ist Thüringen im Kleinformat“, sagte das CDU-Landesvorstandsmitglied in Anspielung auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD und CDU im Februar 2020.

Am Tag zuvor hatten schon der Grünen-Politiker Cem Özdemir und Ex-Linke-Chef Bernd Riexinger die Wahl heftig kritisiert. Riexinger twitterte: „Diese Wahl ist eine Schande.“ Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke aus Nordrhein-Westfalen erklärte: „Wenn Nazis Spiele spielen, dann erwarte ich von jedem, dass er den Rücken gerade macht.“