Das Mahnmal für die Opfer des Wehrmachts-Massakers in Karakolithos Foto: imago images/Andreas Neumeier

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fliegt nach Griechenland. Dort wird er nicht nur das Gelände des geplanten Holocaust-Museums besuchen. Er muss sich auch auf unbequeme Fragen zu Reparationszahlungen einstellen.

Griechenland ist ein Land, das Frank-Walter Steinmeier offenbar nah ist. Der Bundespräsident bricht am Dienstag zu einer dreitägigen Reise in das südeuropäische Land auf. Es ist bereits sein vierter Griechenland-Besuch seit seinem Amtsantritt 2017. Diesmal werden vor allem die dunklen Kapitel der Geschichte beider Völker eine Rolle spielen. Der Bundespräsident stellt das Thema bewusst gleich an den Anfang seines Besuchs. Steinmeier fliegt am Dienstag von Berlin zunächst ins nordgriechische Thessaloniki. Dort besichtigt er gemeinsam mit der griechischen Präsidentin Katerina Sakellaropoulou das Gelände des geplanten Holocaust-Museums Griechenlands.

Während der dreijährigen deutschen Besatzung wurden mehr als 70 000 griechische Juden in die Vernichtungslager verschleppt und ermordet. 300 000 Menschen erfroren und verhungerten unter der Besatzung, weil die Wehrmacht Lebensmittel und Brennstoffe konfiszierte. In einem am Samstag erschienenen Interview mit der Zeitung „Ta Nea“ sagte Steinmeier, Nazi-Deutschland habe in Griechenland „furchtbare Verbrechen an Frauen, Kindern und Männern verübt“. Der Präsident unterstrich: „Dieses furchtbare und schmerzhafte Kapitel müssen wir in unserer Geschichte lebendig erhalten.“ Zudem verwies er aber auch auf zukunftsgerichtete Initiativen, wie den Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds. Der vor zehn Jahren auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck geschaffene Fonds fördert wissenschaftliche und künstlerische Projekte zur Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte.

Schuldenkrise hat das Verhältnis zusätzlich belastet

Theodor Heuss wählte 1956 bewusst Griechenland als Ziel seines ersten Staatsbesuchs im Ausland. Das Kapitel der deutschen Besatzung hat seither alle Visiten deutscher Staatsoberhäupter überschattet. Steinmeiers Vorgänger Joachim Gauck reiste beispielsweise im März 2014 in das nordgriechische Dorf Ligiades. Dort hatten Soldaten der Wehrmacht am 3. Oktober 1943 in einem Massaker mehr als 80 Frauen, Kinder und Greise ermordet. Das jüngste Opfer war zwei Monate alt, das älteste 100 Jahre. „Mit Scham und Schmerz“ bat Gauck damals die Familien der Ermordeten um Verzeihung.

Bei Gaucks Besuch steckte Griechenland noch tief in der Schuldenkrise. Die harten Sparauflagen der internationalen Gläubiger hatten das Land in die tiefste und längste Rezession der Nachkriegsgeschichte getrieben. Die Arbeitslosigkeit erreichte 27 Prozent. Während die Wirtschaft immer tiefer abstürzte, bewegte sich auch das Verhältnis zwischen Griechen und Deutschen auf einen Tiefpunkt zu. Viele sahen in Deutschland die treibende Kraft hinter dem „Spardiktat“.

30 000 Menschen wurden von der Wehrmacht und der SS ermordet

Inzwischen hat sich das Verhältnis der beiden Völker etwas entspannt. Aber die Krisenjahre haben, zumindest aus griechischer Sicht, Wunden hinterlassen, die so schnell nicht verheilen. So steht Steinmeiers Besuch gleich zweifach im Schatten der Geschichte.

Am Donnerstag besucht Steinmeier als erster Bundespräsident die Insel Kreta. Er fährt in das Bergdorf Kandanos. Deutsche Wehrmachtssoldaten zerstörten den Ort am 3. Juni 1941 bis auf die Grundmauern, als Vergeltung für einen Überfall griechischer Widerstandskämpfer, bei dem 25 Wehrmachtssoldaten getötet wurden. Kandanos ist eine sogenannte Märtyrergemeinde. 99 solcher Opfergemeinden gibt es in Griechenland, offiziell anerkannt in einem Präsidialdekret. Es sind Orte, an denen die deutschen Besatzer Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung begangen haben. Schätzungen zufolge wurden in den Besatzungsjahren etwa 30 000 Frauen, Kinder und Männer von der Wehrmacht und der SS ermordet.

Deutschland beruft sich auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag

Vielen Hinterbliebenen der Opfer reicht die Bitte um Verzeihung nicht. Sie fordern Reparationen. Die Frage steht seit Jahrzehnten im Raum. Steinmeier wird damit wohl spätestens in Kandanos konfrontiert. Die griechischen Ansprüche, die das Parlament in Athen 2019 bekräftigte, gehen in eine Größenordnung von 300 Milliarden Euro. Berlin weist die Forderungen seit jeher zurück. Mit dem 1990 geschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung, den auch Griechenland anerkannte, habe die Reparationsfrage „ihre Berechtigung verloren“. Der Zeitung „Ta Nea“ sagte Steinmeier dazu: „Die Frage der Reparationen ist für unser Land völkerrechtlich abgeschlossen, die Frage unserer Geschichte dagegen wird es niemals sein.“