Donald Trump greift im US-Wahlkampf offen auf das Drehbuch rechter Diktatoren zurück. Er hetzt gegen Migranten, droht Gegnern und schürt Ängste vor einer vermeintlichen „Überfremdung“. Kamala Harris nennt ihn jetzt einen Faschisten. Sie ist nicht allein.
Thomas Spang
Donald Trump verspricht seinen Anhängern bei der für kommenden Sonntag geplanten Kundgebung im Madison Square Garden von New York eine „Ultra-MAGA-Erfahrung“, ein Make-America-Great-Again-Event der Superlative.
Die Ortswahl auf der Zielgeraden des Präsidentschaftswahlkampfs überrascht, weil der Bundesstaat als Hochburg der Demokraten gilt. Der „Guardian“-Kolumnist Sydney Blumenthal deutet den Einsatz der kostbaren Zeit des „America First“-Kandidaten in diesem Fall als Signal. „Trump weckt bewusst Erinnerungen an die Nazi-Kundgebung von 1939“, erklärt der langjährige Berater Bill Clintons das Kalkül. Vor 85 Jahren versammelten sich unter dem Hakenkreuz auf Einladung des „Amerikadeutschen Bundes“ mehr als 20 000 Hitler-Sympathisanten. Damals wie heute drehte sich alles um die Angst vor „Überfremdung“ und den Schutz eines angeblich bedrohten weißen, christlichen Amerikas. „Das ist brandgefährlich“, mahnt Blumenthal.
Migranten seien „Schädlinge“
Während Kandidaten zu diesem Zeitpunkt im Wahlkampf normalerweise in die Mitte rücken, bewegt sich der „Make-Amerika-Great-Again“-Kandidat nach ganz rechts außen. Trump verschärft seine Rhetorik und schürt offen Stimmung gegen eine angebliche „Invasion“ von Migranten. Bei einer Kundgebung in Colorado bezeichnete er sie als „eiskalte Killer“. In Aurora hätten Venezolaner die Stadt gewaltsam besetzt. Eine Geschichte, die genauso falsch ist wie das Märchen von Migranten aus Haiti, die angeblich die Katzen und Hunde der Einheimischen verspeisen.
Trump bedient sich offen des Vokabulars der NS-Propaganda. Er spricht von „Blutvergiftung“ durch Einwanderer und bezeichnet sie als „Schädlinge“, die man „beseitigen“ müsse. Für eine mögliche zweite Amtszeit kündigt Trump unter dem Codenamen „Operation Aurora“ Massenabschiebungen an, für die er die Armee einsetzen will.
„Trump spricht wie Hitler, Stalin und Mussolini“, schreibt die Historikerin Anne Applebaum im Magazin „The Atlantic“. Diese Diktatoren hetzten in den 30er Jahren so über Juden und andere Gegner. Wenn man Personen „entmenschlicht und als Tiere darstellt“, so Applebaum, „kann man sie leichter verhaften, ausschließen oder töten.“ Das gilt auch für Trumps Drohungen gegen innenpolitische Gegner. Er kündigte an, das Militär „notfalls“ gegen „Volksfeinde“ im Inneren einzusetzen. Die inneren Gegner seien gefährlicher als äußere wie Russland oder China.
Die Demokraten zögerten lange, Trump als Faschisten zu bezeichnen. Doch angesichts seiner eskalierenden Rhetorik geben sie ihre Zurückhaltung auf. Wesentlichen Anteil daran hat der frühere Stabschef Mark Milley. Für ihn ist Trump ein „Faschist durch und durch“. Auch der ehemalige Stabschef im Weißen Haus, John Kelly, gebraucht das F-Wort für seinen ehemaligen Vorgesetzten. In Interviews wies er darauf hin, dass Trump sich mehrfach positiv zu Hitler geäußert habe. In einem Interview mit dem Podcast-Moderator Charlamagne tha God stimmte Kamala Harris der Bezeichnung Trumps als Faschist zu. Darauf direkt angesprochen, sagte sie: „Ja, wir können das sagen.“ Bei einer CNN-Bürgerstunde am Mittwochabend (Ortszeit) wiederholte sie dies. Moderator Anderson Cooper fragte sie: „Halten Sie Donald Trump für einen Faschisten?“ Harris antwortete ohne Zögern: „Ja, das tue ich.“
Hillary Clinton nannte Trumps Rhetorik „offen faschistisch“. Und auch die frühere republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney sieht „keinen Grund, dieser Einschätzung zu widersprechen“. Dass es sich bei seinen NS-Anklängen nicht bloß um unbedachte Worte, sondern um eine Strategie handelt, lässt sich an Trumps Wahlkampf ablesen. Trumps Slogan „America First“ stammt von Hitler-Bewunderer Charles Lindbergh und gehörte zu den Parolen der Nazi-Kundgebung im Madison Square Garden.
Anleihen an Mussolini
Bei einem Auftritt Trumps in Pennsylvania hing ein riesiges Banner mit der Aufschrift „Trump Was Right About Everything“ (Trump hatte in allem recht). Dies erinnert die Faschismusforscherin Ruth Ben-Ghiat von der New York University „erschreckend an Benito Mussolini“. Sie twitterte im Anschluss an die Veranstaltung ein Foto aus dem faschistischen Italien, das den Slogan „Mussolini hat immer recht“ zeigt.
Der Philosophieprofessor Jason Stanley von der Yale University hält es für überfällig, Trump als das zu bezeichnen, was er ist. Dessen MAGA-Bewegung basiere auf „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Hypermaskulinität“ und diffamiere alle demokratischen Institutionen als „marxistisch“. „Trump ist ein Faschist wie aus dem Lehrbuch.“
„Iditoten-Professoren“
Trump-Sprecher Steven Cheung weist diese Charakterisierung entschieden zurück. „Diese Idioten-Professoren sind bestenfalls verblendete Spender für Kamala Harris, die eindeutig unter einem schweren Fall von Trump-Wahnvorstellungen leiden.“ Laut einer aktuellen Umfrage für die Denkfabrik Brookings Institution stimmt einer von drei Amerikanern (34 Prozent) der Aussage zu, dass Einwanderer „das Blut Amerikas vergiften“. Eine weitere Umfrage von Scripps News ergab, dass eine klare Mehrheit der amerikanischen Wähler (54 Prozent) Massenabschiebungen von Migranten befürwortet.
Der Yale-Politologe Jason Stanley erkennt in Trumps Strategie den Versuch, mit negativen Emotionen Leute zu mobilisieren, die sonst nicht wählen gehen. „Trump nutzt bewusst die Taktiken der 1930er Jahre, weil er glaubt, damit gewinnen zu können.“