John Irving hat gerade auch in Deutschland viele Fans. Foto: imago/Pauline Maillet /Starface

„Garp und wie er die Welt sah“ brachte ihm 1978 den Durchbruch. Nun hat John Irving, der 80 Jahre alt wird, seinen 15. und letzten Roman fast fertig.

New York - Einen Roman zu schreiben, hat der amerikanische Autor John Irving einmal erklärt, das heiße, nach Opfern zu suchen. „Während ich schreibe, halte ich Ausschau nach den Gefallenen und Verwundeten. Die Erzählungen bringen die Opfer ans Licht.“ Das klingt ziemlich martialisch, sogar richtig gruselig, aber zu seinen produktivsten Zeiten genoss John Irving – und das vor allem in Deutschland – Rockstarstatus. Im Gedränge vor den Türen seiner ausverkauften Lesungsorte konnte man schnell Atemnot bekommen. Der seit einigen Jahren in Kanada Lebende, der am 2. März 80 Jahre alt wird, gilt seinen Fans als Spender puren Leseglücks.

Dabei kommt in Irvings Romanen tatsächlich kaum jemand ungeschoren davon. Aber egal, wer da in „Garp und wie er die Welt sah“, „Das Hotel New Hampshire“ oder „Owen Meany“ mit welchem Leid und Unrecht konfrontiert wird, man landet nicht in einem Labyrinth der Depressionen. Irving bringt aktuelle und in den USA oft höchst kontroverse Themen – Abtreibung, den Vietnamkrieg, offene Ehen und sexuellen Hedonismus – mit der Fabulierlust des 19. Jahrhunderts zusammen. Bodenständige Vernunft und ein Gespür für Alltäglichkeiten treffen bei ihm auf exzentrische oder überlebensgroße Charaktere und auf Schlenker des Schicksals ins einprägsam Absurde.

Mann gegen Mann

Früher Erfolg war ihm trotzdem nicht beschieden. Ab 1968 legte Irving drei Romane vor, die am US-Markt zunächst allesamt untergingen, trotz ein bisschen Kritikeraufmerksamkeit. Vermutlich wäre „Garp und wie er die Welt sah“ 1978 sein letzter Anlauf geworden, aber dieses Buch brachte den Durchbruch – und dank der Verfilmung 1982 durch George Roy Hill („Der Clou“) mit Robin Williams und Glenn Close wurde die Filmwelt auf Irving aufmerksam, was langfristigen Geldsegen bringen sollte. Vier weitere Romane Irvings wurden verfilmt, „Das Hotel New Hampshire“, „Owen Meany“ (als „Simon Birch“), „Teufels Werk und Gottes Beitrag“ (Irving schrieb selbst das Drehbuch und gewann prompt einen Oscar) sowie „Witwe für ein Jahr“ (als „The Door in the Floor“).

Bis zur finanziellen Unabhängigkeit hatte Irving als Lehrer gearbeitet und nebenher als Trainer in seiner Lieblingssportart: Ringen. Das Ringertraining behielt er bei, als er das Geld nicht mehr brauchte, er coachte erfolgreich seine drei Söhne. Dass da einer gerne auf die Matte ging im Kampf Mann gegen Mann, dass ein sensibler und geistreicher Literat vor sehr intensiver Körperkonfrontation nicht zurückschreckte – das trug ganz erheblich zum Charisma von Irving bei. Heute gibt er allerdings zu, sich dabei die Knie ruiniert zu haben und nicht mehr schmerzfrei joggen zu können. Wert sei es das aber gewesen.

Für Kritiker schwer zu fassen

Mehr als zwölf Millionen Exemplare seiner in 35 Sprachen übersetzten Bücher wurden bislang verkauft. Da macht es wohl wenig, dass die professionelle Kritik und die akademische Gemeinde Schwierigkeiten haben, Irving einzuordnen. Seine Bücher klingen nicht wirklich amerikanisch, europäische Vorbilder wie die Werke von Günter Grass scheinen durch, auch die Weltliteraturklassiker des Briten Charles Dickens aus dem 19. Jahrhundert, aber irgendwie ist auch ein starker Zug von Hollywood nicht zu verleugnen.

Auf solche Analyseversuche pfeifen Irving-Leser fröhlich, trotzdem haben sie zu leiden. Seit dem mit magischem Realismus gespickten „Straße der Wunder“ von 2015 ist kein neuer Irving-Roman erschienen, es hieß nur immer, der Meister arbeite an einer neuen Geschichte, in der auch Gespenster vorkämen. Im Oktober soll es nun soweit sein, soll das englische Original von „The Last Chairlift“ erscheinen. Deutsche Leser müssen sich ein wenig länger gedulden, die Übersetzung ist vorerst für 2023 geplant. Es werde, hat Irving angekündigt, sein letzter Roman sein, aber die Fans wissen, woraus sie Trost saugen können: In Irvings Romanen läuft das Leben selten so, wie die Helden es planen.