Jubel nach dem Urteil bei einer Kundgebung in Atlanta. Foto: AFP/Megan Varner

Der Polizist Derek Chauvin ist verantwortlich für den Tod von George Floyd. Die Geschworenen befanden ihn in allen drei Anklagepunkten für schuldig. Chauvin muss mit bis zu 40 Jahren Haft rechnen. Das Urteil war mit banger Spannung erwartet worden.

Minneapolis - Philonise Floyd, einer der Brüder George Floyds, beschreibt es in ebenso einfachen wie eindringlichen Worten, nachdem die zwölf Geschworenen ihr Urteil verkündet haben. In einem Hotel in Minneapolis, nicht weit vom Hennepin County Courthouse, in dem der Prozess über die Bühne ging, spricht er vor laufenden Kameras von seiner Erleichterung. „Ab heute werde ich nachts hoffentlich wieder in den Schlaf finden“, sagt der Lastwagenfahrer. „Von heute an können wir wieder atmen.“

Etwa zehn Stunden hatten die Geschworenen am Montag und Dienstag beraten, bevor der Richter Peter Cahill verlas, zu welchen Schlüssen sie gelangten. Drei Punkte umfasste die Anklage gegen Derek Chauvin, den Polizisten, der sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Nacken drückte. In allen befand die Jury den ehemaligen Beamten für schuldig: Mord zweiten Grades, Mord dritten Grades, Totschlag zweiten Grades. Wie hoch die Strafe ausfällt, will Cahill innerhalb von acht Wochen entscheiden. Nach den Statuten Minnesotas muss Chauvin mit bis zu 40 Jahren Gefängnis rechnen. Es ist das erste Mal, dass ein weißer Polizist in dem Bundesstaat für schuldig befunden wird, nachdem er einen Afroamerikaner getötet hat.

Ob das Urteil ein Meilenstein ist, daran scheiden sich die Geister

Ob es ein Meilenstein des Wandels ist, daran scheiden sich die Geister. Als Barack Obama den Fall kommentiert, spricht aus jeder seiner Zeilen Skepsis. Das Urteil, schreibt der erste schwarze Präsident in der Geschichte der USA, mag ein notwendiger Schritt auf der Straße des Fortschritts gewesen sein. Doch es reiche nicht aus. „Wir dürfen keine Ruhe geben. Wir müssen konkrete Reformen folgen lassen, die rassistische Vorurteile im System unserer Strafjustiz reduzieren und schließlich ganz entfernen.“ Es ist eine Stimme von vielen, die auf die lange Strecke verweisen, die noch zurückzulegen ist.

Im Weißen Haus hatte Joe Biden sämtliche Termine abgeräumt, um auf das Urteil reagieren zu können. Als es feststeht, telefoniert er als Erstes mit den Angehörigen Floyds, die sich im Flur eines Hotels um ihren Anwalt Ben Crump versammelt haben. Die Empathie, die der 78-Jährige ausstrahlt, der selber harte Schicksalsschläge einstecken musste, ist zu spüren. „Endlich, Gott, gibt es ein wenig Gerechtigkeit“, sagt Biden und spricht von einem ersten Versuch, gegen systemischen Rassismus vorzugehen. „Wir werden anfangen, die Welt zu verändern. Wir werden noch viel mehr erreichen.“ Dies könne ein Moment bedeutsamen Wandels sein, erklärt er später in einer Fernsehansprache. Noch seien Urteile wie das in Minneapolis gefällte viel zu selten.

Kamala Harris spricht Klartext zu bitteren Erfahrungen

Vizepräsidentin Kamala Harris, Tochter einer aus Indien eingewanderten Mutter und eines aus Jamaika stammenden Vaters, ruft die bitteren Erfahrungen schwarzer Amerikaner in Erinnerung. Schwarze, insbesondere Männer, sagt sie, seien im Laufe der Geschichte nicht wie vollwertige Menschen behandelt worden. „Aber schwarze Männer sind Väter. Und Brüder. Und Söhne. Und Großväter. Und Freunde. Und Nachbarn.“

Keith Ellison, der erste schwarze Generalstaatsanwalt Minnesotas, betont, dass er nicht von Gerechtigkeit sprechen wolle. Schließlich kehre George Floyd nicht ins Leben zurück. „Immerhin bedeutet es, dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird. Das ist der erste Schritt in Richtung Gerechtigkeit.“ Es waren Juristen aus dem von Ellison geleiteten Apparat, die in drei Wochen Verhandlung begründeten, warum Chauvin mit aller Härte bestraft werden müsse. Ihr mit Abstand wichtigster Beweis: das Video einer Handykamera, mit der Darnella Frazier, seinerzeit 17, am Abend des 25. Mail 2020 filmte, was vor dem Lebensmittelladen Cup Foods geschah. In seinem Schlussplädoyer hatte der Staatsanwalt Steve Schleicher die Geschworenen noch einmal aufgefordert, ihren Augen zu trauen: „Genau das, was Sie sehen, ist tatsächlich passiert“.

Die Verteidigung hatte versucht, Floyd die Schuld an seinem eigenen Tod zuzuschieben. Gestorben sei er wegen seiner Drogenabhängigkeit und einer Herzschwäche. Zudem sei Chauvin abgelenkt worden von protestierenden Zuschauern. Die Augenzeugen, entgegnet Ellison in seinem Fazit, hätten an jenem Abend die Menschlichkeit verkörpert, die der Polizist so vermissen ließ. „Sie wussten, das, was sie sahen, war falsch. Sie brauchten keine medizinischen Experten zu sein, um das zu erkennen.“