Ein Streit im Straßenverkehr kostet zwei Wochen später einen der Beteiligten fast das Leben. Das Stuttgarter Landgericht hat einen Messerangriff in Filderstadt mit Haftstrafen geahndet – bis zu drei Jahre und drei Monate.
Zwei Messerstiche, dazu mehrere Schläge und Tritte auf offener Straße in einem Wohngebiet in Filderstadt (Kreis Esslingen) kommen zwei 27 und 28 Jahre alte Brüder teuer zu stehen. Sie müssen drei Jahre drei Monate beziehungsweise zweieinhalb Jahre in Haft. Die 19. Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts verkündete dieses Urteil am Dienstagnachmittag. Außerdem müssen die Brüder befürchten, dass ihre Bewährung widerrufen wird, unter der sie wegen anderer Verkehrs- beziehungsweise Einbruchsdelikten gestanden hatten.
Der Fall hatte auf den Fildern für Beunruhigung gesorgt. Denn er zählte zu einer Reihe schwerer Gewaltdelikte im Frühsommer 2024, bei denen Opfer auf offener Straße rabiat angegriffen und teils erheblich verletzt worden waren. Unter anderem war bei einer Auseinandersetzung unter Gruppen vor einer Disco in Bonlanden eine Axt im Einsatz. Verstörend wirkte besonders der Vorfall vom 13. Juli, als ein 41-Jähriger in der Eberhardstraße im Filderstädter Stadtteil Sielmingen von Insassen eines schwarzen Kleinwagens angegriffen und mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt worden war. Vor den Augen zahlreicher Zeugen, unter anderem eines Elfjährigen.
Banaler Ärger unter Verkehrsteilnehmern
Für den Vorsitzenden Richter der 19. Strafkammer, Norbert Winkelmann, hatte die Bluttat einen „mehr als banalen Anlass“. Drastischer hatte es der Staatsanwalt ausgedrückt: „Eine der unnötigsten und unsinnigsten Gewalttaten, die ich je erlebt habe“, so Wolfgang Friedrich Tage zuvor in seinem Plädoyer. Die angeklagten Brüder hatten ihre Version als schriftliche Erklärung von ihren Anwälten verlesen lassen. Demnach habe der jüngere Bruder in einem Gewerbegebiet vor seiner Kfz-Werkstatt einen Pkw ausparken wollen und sich dabei den Zorn eines 41-jährigen Lieferwagenfahrers zugezogen. Die vermeintliche Vorfahrtsverletzung sei zunächst mit Kraftausdrücken unter türkischen Landsleuten ausgetragen worden.
Zwei Wochen später war man sich erneut begegnet. Diesmal im Wohnquartier zwischen Kirche und Fleinsbach. Auf der Heimfahrt im Auto eines Bekannten soll der 28-Jährige den 41-Jährigen vor einem Wohnhaus wartend entdeckt haben. Er stieg mit seinem 27-jährigen Bruder aus, um die Sache nochmals zu klären. Dass er in seiner Arbeitshose gewohnheitsgemäß ein Messer „zum Öffnen von Paketen“ bei sich trug, sollte schwer wiegende Folgen haben. Der 41-Jährige ließ sich wenig beeindrucken – und der Streit eskalierte.
Eine Not-OP rettet dem Opfer das Leben
Dabei war die Kammer nicht nur auf die Angaben von Zeugen angewiesen, sondern hatte auch Videosequenzen aus zwei Überwachungskameras zur Verfügung – mit den wuchtigen Schlägen und Tritten der Brüder am Bildrand. Dabei hatte der ältere Bruder auch noch zugestochen und den Widersacher laut Rechtsmedizinerin „akut lebensbedrohlich“ verletzt. Diagnosen: Stich in den Oberbauch, Dickdarm eröffnet. Stichwunde linker Brustkorb, Vene, Zwerchfell, Milz getroffen und verletzt. Schulter mit Sehnen- und Bänderriss. Eine Not-OP rettete ihm das Leben.
Dass der Strafrahmen niedriger angesetzt wurde, lag auch an einem abseits des Prozesses ausgehandelten Täter-Opfer-Ausgleich mit 9000 Euro als Schmerzensgeld. Richter Winkelmann erkannte außerdem auf gefährliche Körperverletzung, nachdem die Anklage zu Prozessbeginn noch auf versuchten Totschlag gelautet hatte. „Sie haben mit der Tat freiwillig aufgehört, wie auch Videos aus Überwachungskameras zeigen“, begründet Winkelmann dies. Sonst hätte es nicht unter fünf Jahren Haft gegeben. Nun soll der ältere Bruder als Messerstecher für drei Jahre und drei Monate, der jüngere für zweieinhalb Jahre hinter Gitter. Beide hatten Bewährungsstrafen offen. Der 28-Jährige wegen diverser Einbruchsdelikte. Der 27-jährige Werkstattbetreiber, der womöglich ungeschickt ausgeparkt hatte, wegen mehrfachen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Er blieb vorerst unter Auflagen auf freiem Fuß und muss die Haft nicht sofort antreten.