Auf fast 15 000 Quadratmetern entsteht auf dem Dach der Halle 6 im Messezentrum Porte de Versailles in Paris die größte Stadtfarm Europas. Foto: / ViParis

Frisches Gemüse mitten aus der Großstadt – in Paris ist das kein Problem. Auf dem Dach einer Messehalle in Porte de Versailles werden Bioprodukte angebaut.

Paris - Das Summen der Bienen ist nicht zu hören. Der nie versiegende Straßenlärm drängt zwischen den Häusern nach oben und legt sich wie ein monotoner Klangteppich über alle anderen Geräusche. Dieses Grundrauschen ist die ideale Begleitmusik für diese surreale Welt auf dem Dach der Halle 6 im Messezentrum Porte de Versailles in Paris: Auf fast 15 000 Quadratmetern entsteht hier ein moderner Garten Eden. Aus hohen Plastiksäulen sprießen Erdbeerpflanzen, deren Früchte rot in der Sonne leuchten. Daneben wachsen Salat, Mangold, Pfefferminze oder Thymian, dazwischen stehen kleine Tomatenstauden.

Die größte Stadt-Farm Europas

Sophie Hardy hat einen pragmatischen Blick auf das üppige Grüne. „Wir nutzen im Moment etwa ein Drittel der möglichen Fläche“, sagt die Betriebsleiterin des Unternehmens Nature Urbaine, das die Anlage betreibt. „In den kommenden beiden Jahren werden wir den Rest des Daches bepflanzen.“ Weil sehr viel Gemüse und Früchte in dann fast 2000 vertikalen Säulen angebaut wird, wird sich die Anbaufläche auf 80 000 Quadratmeter erstrecken – das Projekt ist damit die größte Stadtfarm Europas.

Urban Gardening liege im Trend, sagt Sophie Hardy. „Die Menschen achten mehr darauf, was sie essen. Es soll biologisch sein und möglichst regional oder lokal angebaut werden.“ Aus diesem Grund wurde bei der Sanierung der Halle 6 des Pariser Messezentrums beschlossen, auf dem Dach die Farm zu installieren und in diesem Frühjahr in Betrieb zu nehmen. Um Gewicht zu sparen, werden dort Hydrokulturen und leichtes Substrat eingesetzt. Das hat allerdings einen Nachteil: Weil die Pflanzen nicht in normaler Erde wachsen, bekommen sie nicht das französische Biosiegel. „Wir verwenden keine Insektizide oder andere Chemikalien“, versichert Sophie Hardy, „unsere Produkte sind also auch zu 100 Prozent bio.“

Abnehmer sind die edlen Pariser Restaurants

Die edlen Restaurants und Hotels rund um das Messezentrum Porte de Versailles haben den Vorteil der kurzen Lieferwege und natürlich den enormen Werbewert erkannt. Sie werden den Großteil der Ernte aus dem Dachgarten abnehmen, die sich je nach Saison ständig verändern wird. Da die Gastronomiebetriebe wegen der Corona-Sperren bisher noch geschlossen waren und teils noch sind, haben sich die Verantwortlichen von Nature Urbaine entschieden, die ersten Produkte an die Anwohner im 15. Arrondissement zu verkaufen. Die Gemüsekisten kann man online für 15 Euro bestellen und jeden Abend vor dem Rathaus des Stadtteils abholen. Zum Konzept gehört in diesem Fall allerdings auch, dass die Menschen mitmachen sollen. „Wir haben knapp 140 Parzellen, wo die Anwohner anbauen können, was sie wollen – solange es legal ist“, sagt Sophie Hardy lachend und zeigt auf eine Reihe von Hochbeeten, von denen jedes etwa zwei Quadratmeter misst. 320 Euro pro Jahr kostet eine Parzelle, Tipps von Profis inklusive. Zudem haben die Beete ein Bewässerungssystem, was vor allem im Hochsommer das leidige Wasserschleppen erspart. Der Drang der Städter, sich ein kleines Stück Natur zu erobern und mit den eigenen Händen in der Erde zu graben, ist enorm. Schon nach wenigen Tagen waren fast alle Parzellen vermietet.

Auch Hobbygärtner sind willkommen

Die Macher von Nature Urbaine müssen allerdings auch mit unerwarteten Problemen kämpfen. „Der Wind ist unser Feind“, sagt Sophie Hardy. Es gefalle nicht allen Pflanzen auf dem Dach hoch über der Stadt, dass ständig an ihnen herumgezerrt werde. „Wir haben dafür noch keine Lösung, aber wir arbeiten daran.“ Was die Betriebsleiterin noch mehr erstaunt: „Es gibt hier oben keine Insekten, die die Blüten der Pflanzen bestäuben könnten.“ Die Gründe liegen auf der Hand: Das 15. Arrondissement ist sehr dicht bebaut, große Parks mit blühenden Wildpflanzen sucht man vergebens, und in unmittelbarer Nähe des Messegeländes verläuft die Périphérique, die große Stadtautobahn.

Die Situation verbessere sich aber von Woche zu Woche. „Je mehr blühende Pflanzen wir haben, desto mehr Insekten sind zu finden“, sagt Sophie Hardy. Um der Natur etwas unter die Arme zu greifen, wurde zu Testzwecken ein Bienenstock auf dem Dach platziert. Und so schwirren die fleißigen Helfer inzwischen eifrig zwischen den Säulen mit den blühenden Erdbeerpflanzen umher. Dem ersten Bienenvolk sollen noch weitere folgen.