Der Ungar benutzt die EU-Ratspräsidentschaft für diplomatische Alleingänge. Die Antwort aus Brüssel ist eher symbolisch und kümmert Orban wenig.
Die Liste der Absagen wird länger. Nun hat auch Estland angekündigt, vorübergehend keine Ministerinnen und Minister zu Treffen nach Ungarn schicken. Grund dafür sind die diplomatischen Alleingänge von Premierminister Viktor Orban seit Beginn der EU-Ratspräsidentschaft seines Landes. „Ungarn hat durch sein Handeln seine Rolle als EU-Ratspräsidentschaft missbraucht und damit seine Glaubwürdigkeit ernsthaft untergraben“, sagte ein Sprecher der Regierung in Tallinn. Zuvor hatten schon Schweden und Litauen beschlossen, keine Minister nach Ungarn zu schicken, während Lettland einzelfallbezogen über eine Teilnahme entscheiden will. An offiziellen EU-Treffen in Brüssel werde Estland weiterhin wie bisher teilnehmen, sagte der Sprecher.
Ohne Absprache nach Moskau und Peking
Orban war kurz nach Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft Anfang Juli unabgesprochen zu Russlands Präsident Wladimir Putin, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ex-US-Präsident Donald Trump gereist. In der EU wurde deswegen befürchtet, dass im Ausland der Eindruck entstehen könnte, Orban spreche bei Treffen im Namen der Europäischen Union. Inhaltlich wird unter anderem kritisiert, dass vor allem die Reise zu Putin als Entgegenkommen gewertet werden konnte.
Auch aus Deutschland war massive Kritik an Orbans Verhalten laut geworden. Es gibt allerdings keine generelle Absage Berlins für die informellen Ministertreffen in Ungarn. Nach Informationen des Tagesspiegel wird allerdings Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) nicht am bevorstehenden informellen Treffen des EU-Agrarministerrats in Budapest teilnehmen. Offizieller Grund ist eine „Terminkollision“ zum Zeitpunkt des Treffens vom 8. bis 10. September. In einer Stellungnahme deutete ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums allerdings an, dass nicht nur Terminprobleme eine Rolle gespielt haben könnten. „Aufgabe der EU-Ratspräsidentschaft ist es, Ziele im Sinne der gesamten Europäischen Union voranzubringen. Der jeweilige Mitgliedstaat hat in dieser Zeit seine eigenen nationalen Anliegen zurückzustellen und muss als ehrlicher, neutraler Vermittler und Sachwalter gesamteuropäischer Interessen auftreten“, so der Sprecher gegenüber dem „Tagesspiegel“.
Orban will nicht nachgeben
Wegen der außenpolitischen Alleingänge Orbans war in diesen Tagen auf Drängen des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell auch ein Treffen der EU-Außenminister kurzfristig von Budapest nach Brüssel verlegt worden. Nach der Zusammenkunft deutete der Spanier in einer Mitteilung an, dass dabei ziemlich die Fetzen geflogen sein müssen. Es sei „eines der intensivsten Außenministertreffen der vergangenen fünf Jahre“ gewesen. Borrell hatte das Vorgehen Orbans immer wieder als „völlig inakzeptabel“ bezeichnet und an den in den EU-Verträgen festgeschriebenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit erinnert.
Viktor Orban scheint aber trotz des Drucks aus Brüssel nicht gewillt, nachzugeben. So plant die ungarische Regierung sogar Visa-Erleichterungen für Russen und Belarussen. Das würde dazu führen, dass Menschen aus den beiden Ländern sich ungehindert im Schengenraum bewegen könnten. Scharfe Kritik kam vor allem von den baltischen Staaten. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis betonte bei einem Treffen: „Schengen basiert auf Vertrauen. Wir vertrauen darauf, dass andere dasselbe tun wie wir.“ Ungarn aber zerstöre mit seinem Verhalten dieses Vertrauen.