Die Wählerstimmen von Senioren sind begehrt. Foto: FACTUM-WEISE/Andreas Weise

Eine Initiative im Internet ruft den Nachwuchs dazu auf, Großeltern in die Wahlentscheidung drein zu reden und bietet dazu vorgefertigte Textbausteine an – manchem Grünen gefällt das.

Berlin - „Kinder an die Macht“ knödelte Herbert Grönemeyer schon 1986. In den 35 Jahren seit dem Lied sind die Belange der Heranwachsenden immer wieder in den Fokus der Regierenden geraten, mit der Machtübernahme hat es aber nicht geklappt.

Und dass die Ansichten der nachwachsenden Generation – oder das was für deren Ansichten gehalten wird, in diesem Fall die Sorgen wegen des Klimawandels – sich im Ergebnis der Bundestagswahl am 26. September abbilden würden, dafür stehen die Chancen schlecht. Zumindest dann, wenn man der Argumentation der Macher der Internetseite www.enkelkinderbriefe.de folgt. „Während die unter 30-Jährigen nur 15 Prozent der Wahlberechtigten sind, machen die über 60-Jährigen 38 Prozent aus“, heißt es auf der Internetseite, die laut Impressum von zwei Männern in Berlin verantwortet wird. „Deine Oma und Opa entscheiden also darüber, ob es eine Politik des ,weiter so’ oder eine Politik des klimagerechten Aufbruchs geben wird.“ Offenkundig haben die Macher der Initiative Zweifel daran, dass man die Großeltern von heute mit einer so weitreichenden Entscheidung alleine lassen sollte. Für die Hilfestellung der Enkel an Oma und Opa setze man „auf eines der ältesten und erfolgreichsten Kommunikationsmittel der Menschheit: Den Brief.“

Textbausteine für die eigene Meinung

Weil aber das Briefeschreiben in Zeiten von Messengerdiensten, sozialen Medien und E-Mails etwas in den Hintergrund getreten und ja auch nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen ist, dass der Nachwuchs Schwierigkeiten haben könnte, die brennende Sorge um die eigene Zukunft in überzeugende Worte zu kleiden, hilft die Internetseite gern weiter. „Mit dem Brief-Generator findest du die richtigen Argumente, um deine Großeltern um ihre Stimme zu bitten“. Das ganze dauere gerade einmal drei Minuten. In zehn Schritten lässt sich der Brief aus vorgefertigten Versatzstücken zusammenfügen – begonnen bei einigen Anredealternativen gefolgt verschiedenen Einstiegssätzen, in denen die Motivation angerissen wird über die Formulierung der „Hauptsorge“ bis hin zu konkreten Forderungen wie etwa „Bitte wähle im September eine Partei, die Klimaschutz ernst nimmt. Denn damit schenkst du mir und anderen jungen Menschen eine Zukunft.“

Senioren befassen sich mit Klimaschutz

Beim Landesseniorenrat Baden-Württemberg (LSR) hat man sich auf Nachfrage unserer Zeitung mit der Initiative beschäftigt. „Es ist sicherlich eine Möglichkeit über einen solchen Brief ins Gespräch zwischen den Generationen zu kommen“, sagt LSR- Geschäftsführerin Anja Schwarz. Ob die schriftliche Intervention der Enkelkinder notwendig für die Wahlentscheidung ist? Schwarz rät eher dazu, den eigenen Standpunkt mit den Angeboten der Parteien abzugleichen. Es sei aber keinesfalls so, dass die ältere Generation das Thema Klimawandel ignoriere. Schwarz verweist etwa auf eine 2020 vom Landesseniorenrat zum Thema verabschiedete Resolution, die überschrieben ist: „Klimaschutz fängt auch im Kleinen an, denn unser Lebensstil hat Auswirkung auf die ganze Welt!“ Die jüngste Ausgabe des Verbandsmagazins habe zudem das Thema Klimawandel schwerpunktmäßig aufgegriffen. Es dürfe aber nicht einseitig betrachtet werden: „Klimaschutz hat umweltpolitische, wirtschaftliche und soziale Aspekte“.

Prominente Unterstützer

Um die Jugend zu motivieren, das Angebot des Brief-Generators im Internet wahrzunehmen, werben in einem Videoclip verschiedene Prominente dafür, etwa der Fernsehmoderator Joko Winterscheidt, der Musiker Jan Delay oder die Schauspielerin Annette Frier. Denen dankt prompt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir via twitter und bekundet sein Gefallen: „Ich will unseren Kinder keinen kaputten Planeten hinterlassen. Denn das sind Schulden, die sie nie zurückzahlen können.“

Etwas kritischer fiel das Medienecho auf die Aktion aus. Die „Neue Zürcher Zeitung“ bemühte die Vokabel „Enkeltrick“, die gewöhnlich für eine Betrugsmasche steht. Die „Zeit“ kommentierte, die Aktion offenbare „die ganze Bandbreite der politischen und gesellschaftlichen Bigotterie, der Heranwachsende seit Monaten ausgesetzt sind.

Der Selbstversuch unserer Zeitung mit dem Briefe-Generator endete überraschend. Das bestellte Schriftstück landete per E-Mail im Spam-Ordner, also der Ablage für Zuschriften dubioser Herkunft.