Menschen sitzen am Samstag in Malmö in Cafés in der Sonne. Foto: dpa/Ludvig Thunman

Kritik am lockeren Umgang der Schweden mit dem Coronavirus basiere auf statistisch nicht aussagekräftigen Todesratenvergleichen, heißt es vom Gesundheitsamt.

Die Sonne scheint warm auf Stockholm. Trotz frostigen sechs Grad Celsius lag am Wochenende erstmals so etwas wie Frühling in der schwedischen Morgenluft. Das Land macht mit dem lockeren Sonderweg seit Beginn der Coronakrise weltweit von sich reden.

Ebba und ihr Freund turteln frisch verliebt neben mehreren Kinderwagen und den dazugehörigen Eltern im gut vollen italienischen Café dello Sport in Hornstull, einem hippen Viertel von Stockholm. Man hört von hinter der Theke Flavio, der für schwedische Verhältnisse sehr laut in seiner Sprache mit den Eltern in Rom telefoniert. Er erzählt, dass Schweden jetzt das freiste Land Europas ist, und was man hier alles noch machen dürfe.

Schweden setzt auf Freiwilligkeit bei der Bevölkerung

Auch wenn Schweden derzeit nicht weniger Probleme mit Covid-19 hat, bleibt fast alles geöffnet: Geschäfte aller Art und Einkaufszentren, Cafés, Bars, Fitnessstudios, kleinere Clubs, Büros, Kindergärten, Schulen bis einschließlich der neunten Klassen und sogar einige Kinos. Selbst Ansammlungen von 500 Menschen waren lange erlaubt, dann folgte eine eher nachlässig kontrollierte Regel für 50 Leute als Maximalgrenze, etwa für Konzerte. Das zweite und letzte Verbot: Keine Besuche in Altenheimen. Ansonsten wird auf Freiwilligkeit bei der Bevölkerung gesetzt. „Wascht euch die Hände, und bleibt daheim, wenn ihr auch nur leichte Erkältungssymptome habt“, so die Kernmaßnahme der auf Freiwilligkeit zielenden Aufforderung. Die Schweden gelten als sehr pflichtbewusst, entsprechend sind die U-Bahnen leer, Stadtzentren werden gemieden. Klopapier gibt es in den Läden noch reichlich. Die Menschen nehmen die Pandemie nicht auf die leichte Schulter, aber die apokalyptische Stimmung, die sich andernorts verbreitete, blieb hier aus.

In Schweden lassen die Politiker die Experten der nationalen Gesundheitsbehörde über die Eindämmungspolitik des Landes entscheiden. Vor allem Anders Tegnell, Oberarzt und Staatsepidemiologe, dessen Behördenchef Johan Carlson und deren rund 500 Angestellte tragen derzeit die Hauptverantwortung für die zehn Millionen Schweden. Die rot-grüne Minderheitsregierung und die bürgerliche Opposition setzen auf den Rat der Experten.

Was ist ein größeres Experiment mit der Bevölkerung?

Die Zweipersonenregel in Deutschland findet der schwedische Gesundheitsamtschef Carlson recht streng. „Ich glaube insgesamt nicht an Reiseverbote oder Ausgangsverbote“, so Carlson. „Wenn die Leute sagen, wir in Schweden machen ein Experiment mit unserem Sonderweg, würde ich entgegnen, dass es vielmehr ein äußerst gewagtes Experiment ist, die gesamte Bevölkerung eines Landes vier bis fünf Monate einzusperren.“ Auch Schwedens Außenministerin Ann Linde sagte: „Ich bin mehr beunruhigt über Länder, die sich ganz abgeschottet haben und trotzdem keine Verbesserung sehen.“

Ministerpräsident Stefan Löfven spricht aber von „Tausenden“, die langfristig sterben könnten, und schließt härtere Maßnahmen nicht aus. Aber: „Unsere Strategie ist richtig. Ich höre auf diejenigen, die epidemiologische Kenntnisse haben“, sagt Löfven, der laut Umfragen noch nie so beliebt war wie jetzt.

Bestätigte Infizierte gibt es am Sonntagabend in Schweden 14 385. Am Sonntag wurden insgesamt 1540 Todesfälle gemeldet. Am Samstag waren noch 111 Tote mehr als am Freitag registriert worden – nach Angaben des Staatsepidemiologen Anders Tegnell beruht die hohe Steigerungsrate an Toten vom Samstag auf Nachmeldungen vergangener Tage, seit Tagen lägen die Zahlen jedoch auf einem gleichbleibenden Plateau.

Schwedische Statistiker geben dem Gesundheitsamt recht

22 schwedische Wissenschaftler hatten die schwedische Strategie vergangene Woche in einem Zeitungsartikel als gefährlich kritisiert. Ihre Aussagen basierten aber auf nicht aussagekräftigem Zahlenmaterial, entgegnete das Gesundheitsamt. Länderdaten könnten wegen vieler Unsicherheitsfaktoren und unterschiedlichen Erhebungen der Todeszahlen aber auch aufgrund der statistisch so geringen Mengen an Toten, in die viele Zufallsfaktoren hineinspielen, nicht mit der Eindämmungsstrategie verglichen werden, so der Tenor des Gesundheitsamtes, dem auch schwedische Statistiker recht gaben.

„Es gibt viele freie Plätze in den Intensivstationen in allen Stockholmer Krankenhäusern“, so Oberarzt David Konrad. Sehr viele Patienten seien entlassen worden. 80 Prozent der schwersten Fälle hätten überlebt, fast alle zu Risikogruppen gehörend. Täglich kommen nur um die „sechs bis zwölf“ Patienten mit schwereren Symptomen hinzu. „Wir nähern uns der Abflachung der Erkrankungskurve.“

Stockholm -