Theresia Bauer lässt sich auf dem Vaihinger Unicampus von Exzellenzforschern die Finessen des adaptiven Hochhauses erklären: (von links) Manfred Bischoff, Peter Middendorf, Oliver Sawodny, Werner Sobek und Lucio Blandini Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Mit einem adaptiven Hochhaus ist an der Uni Stuttgart eine Weltneuheit eröffnet worden. Es ist das erste Gebäude, das mit seiner Statik und bald auch seiner Fassade aktiv auf Umwelteinflüsse reagiert – und deutlich weniger Baumasse braucht.

Stuttgart - Die äußerliche Anmutung des Hightechhochhauses auf dem Vaihinger Campus der Uni Stuttgart lässt nicht vermuten, dass es das Zeug dazu hat, eine Technologiewende im Bauen einzuleiten. Doch genau darum gehe es, erklärt Werner Sobek bei der Eröffnung. Darum nämlich, Baustoffmengen zu reduzieren und begrenzte Ressourcen zu sparen, auch Energie. Dies soll durch ein ins Skelett des Gebäudes integriertes Beanspruchungsmanagement ermöglicht werden, sagt der Gründer des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren. Sobek war Initiator des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Adaptive Hüllen und Strukturen für die Welt von morgen“ der Uni Stuttgart, der den Prototyp dieses Hochhauses entwickelt hat.

Es ist ein zwölfgeschossiges, schlankes Gebäude auf einer Grundfläche von fünf mal fünf Metern, bestehend aus einer Stahlkonstruktion, die derzeit noch durch einfache Folien geschützt ist, daneben ein filigraner Treppenturm für die vertikale Erschließung. Doch die Bestandteile von D 1244, wie das Demonstratorhochhaus nach dem gleichnamigen Sonderforschungsbereich genannt wird, haben es in sich. „Es ist absolute Spitzenforschung“, sagt Sobek.

24 Hydraulikzylinder gleichen über Sensoren Windlasten aus

Denn in das Stahlgerüst eingebaut sind 24 Hydraulikzylinder, die über Sensoren gesteuert werden. Deren Aufgabe sei es, Spannungsspitzen auszugleichen beziehungsweise radikal zu reduzieren, etwa Windlast. Die Idee dahinter: Weshalb sollte man alle Bauteile auf Volllast auslegen, wo diese doch nur sehr partiell erfolge, erklärt Sobek. Das bedeute zu viel Material im Bauwerk, und so seien die von der Bundesregierung verkündeten Einsparziele auch für den Klimaschutz nicht zu erreichen. Mit D 1244 gelinge bis zu 50 Prozent Masseneinsparung, so Sobek. Aber auch die Stahlbetondecken von D 1244 haben es in sich. Denn dort sind fluide Kissen eingebaut, mit denen ebenfalls via Sensoren und Hydraulik die Deckenspannung verändert beziehungsweise Verformungen kompensiert werden können.

Das Hochhaus ist das Ergebnis von mehr als zwölf Jahren Forschung, die mit rund 40 Millionen Euro gefördert worden sei – „ein Geldtopf, der für die Bauforschung in Europa einmalig ist“, so Sobek. Doch es geht ja noch weiter. Man wolle das Prinzip der Adaptivität nicht nur im Tragwerk einsetzen, sondern auch in Hüllen und Fassaden, ergänzt Oliver Sawodny, Leiter des Instituts für Systemdynamik und Sprecher des SFB. „Wir wollen zeigen, dass wir Fassaden mit sehr wenig Masse bauen können“, erklärt Lucio Blandini, der das Leichtbauinstitut leitet.

„Der Turm wird ein kunterbuntes Allerlei aus Spitzenforschung sein“

In den nächsten Jahren wolle man die Folien durch unterschiedliche, adaptive Hüllen ersetzen, etwa welche, die die Farbe wechseln können, das Licht unterschiedlich stark reflektieren oder Regenwasser absorbieren können. „Der Endzustand des Turms wird ein kunterbuntes Allerlei aus Spitzenforschung sein“, sagt Sobek auch im Blick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit von 14 Instituten im SFB – „und mit Sicherheit ein Mekka für Architekturpilger“.

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) zeigte sich schon bei der Eröffnung am Dienstag von der „visionären Kraft, aber auch von der Zielstrebigkeit, mit der Sie dieses Bauwerk vorangetrieben haben“, begeistert. Das Forschungshochhaus könne Antworten geben „auf die großen Fragen dieser Zeit“ – nämlich, in kurzer Zeit Ressourcen einzusparen und CO2. Und sie freue sich ausgesprochen, dass das Forschungsprojekt auch Bestandteil der Internationalen Bauausstellung 2027 sei. Für diese soll das zwei Millionen Euro teure Hochhaus auch durch seine Leichtbautechnik wegweisende Impulse liefern.

Auch der wissenschaftliche Nachwuchs ist stark eingebunden

Manfred Bischoff, Professor für Baustatik und Baudynamik und Vizesprecher des SFB, betonte, in das Projekt sei auch der wissenschaftliche Nachwuchs stark eingebunden: „Ohne unsere Doktoranden und Postdocs würde hier nichts stehen.“ Doch auch diese mussten bei dem interdisziplinären Projekt erst lernen, die Sprache ihrer Fachkollegen zu verstehen. Denn während ein Modell für Architekten ein Bauteil im Miniaturformat bedeute, verstehen andere Disziplinen darunter eine Differenzialgleichung, berichtete eine Mitarbeiterin. Bis das Forschungsprojekt im Bau zur Anwendung kommt, könnte es noch Jahre dauern. Der Weg von der Forschung zur industrialisierten Produkten sei lang, gab Sawodny zu bedenken: „Hier ist mehr Mut zum Risiko notwendig.“