Am Ende steht dann eine Entschuldigung: Friedrich Merz nimmt die Rede vom Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der CDU-Vorsitzende sprach in Hinblick auf die ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland von „Sozialtourismus“ und zeichnete das Bild eines regen Pendelverkehrs zwischen den beiden Ländern. An den Vorwürfen ist aber kaum etwas dran – Merz musste sich entschuldigen.

Friedrich Merz hat mit einer Äußerung über angeblichen „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge für große Aufregung gesorgt und womöglich war das ja auch seine Absicht. Wir klären auf, worum es bei dieser angeheizten Debatte eigentlich geht.

Was hat Merz genau gesagt?

Er sagte in einem TV-Format der „Bild“-Zeitung Folgendes: „Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus dieser Flüchtlinge nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück in die Ukraine, von denen mittlerweile eine größere Zahl sich dieses System zunutze macht. Da haben wir ein Problem, das wird größer.“

Hält Merz seine Behauptung aufrecht?

Nein. Er hat in einer Erklärung auf Twitter die Verwendung des Wortes „Sozialtourismus“ bedauert. Merz schreibt: „Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems.“ Das ist eine sehr weitgehende Rolle rückwärts. Statt systematischer Ausbeutung des Sozialsystems geht es also nur noch „um Einzelfälle“. Der Hinweis habe „ausschließlich der mangelnden Registrierung der Flüchtlinge“ gegolten. Er bitte „in aller Form um Entschuldigung“, wenn seine Wortwahl als verletzend empfunden worden sei.

Was ist die Vorgeschichte?

Es geht mal wieder eine Geschichte als Wandersage durch die sozialen Netzwerke. Seit September kursiert vor allem auf Whatsapp und Facebook eine Audionachricht. Darin wird behauptet, Ukrainer würden in Deutschland Sozialbetrug begehen. Sie kämen per Flixbus nach Deutschland, bezögen Hartz IV und führen dann sofort wieder in die Ukraine. Ämter seien angewiesen, diese Praxis zu dulden. Journalistennachfragen bei Flixbus, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Arbeitsagentur, haben gezeigt, dass keine der betroffenen Stellen die Vorwürfe bestätigt.

Wie viele Ukrainer gibt es im Land?

Eine Auswertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat ergeben, dass bis zum 21. August mehr als 967 000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland erfasst worden sind, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet waren. Inzwischen rechnet man mit 990 000. Die Zahlen sind allerdings nur als Richtgröße zu verstehen. Es ist unklar, wie viele Flüchtlinge nach der Erfassung in Deutschland in ein anderes europäisches Land weitergereist sind oder trotz der Kampfhandlungen in die Ukraine zurückgekehrt sind. Laut BAMF könne es sich hier um eine „erhebliche Zahl“ handeln. Zudem sei nicht auszuschließen, dass Flüchtlinge in dem Ausländerzentralregister doppelt erfasst wurden. Hier trifft Merz also einen Punkt. Deutschland ist als Aufnahmeland beliebt. Laut UN-Flüchtlingswerk möchte jeder dritte ukrainische Flüchtling, der zunächst in ein Nachbarland geflüchtet ist, weiter nach Deutschland. Die gegenwärtigen Engpässe bei der Unterbringung hängen damit zusammen, dass die Kapazitäten durch den anhaltenden Zuzug allmählich ausgereizt sind. Im August hatte der Zuzug noch einmal angezogen, im September verlangsamte sich das Tempo wieder. Die Ukrainer müssen nicht in den zentralen Erstaufnahmestellen wohnen. Sie werden also schneller an die Kommunen weiterverwiesen.

Welche Ansprüche haben die Flüchtlinge aus der Ukraine?

Anfangs hatten die Ukrainer Anspruch auf Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das hat sich geändert. Seit Juni erhalten sie Grundsicherung, also die gleichen Leistungen wie etwa Hartz-IV-Empfänger. Neben mehr Geld und besserem Zugang zu medizinischer Versorgung heißt das auch, dass die Jobcenter die Anlaufstelle für die Geflüchteten sind, auch für die Arbeitsvermittlung. Das Bundesarbeitsministerium teilt mit, dass im August 2022 rund 546 000 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit berechtigt waren, Arbeitslosengeld zu beziehen. Von denen seien rund 355 000 auch erwerbsfähig.

Was ist am Vorwurf des Pendelverkehrs von der Ukraine nach Deutschland dran?

Nichts Belastbares. Weder stellt „Flixbus“ hier Auffälligkeiten fest noch die Jobcenter. Natürlich haben die Geflüchteten das Recht, ihre Angehörigen in der Heimat zu besuchen. Leistungen können nur Menschen mit einer Meldeadresse in Deutschland beziehen. Sie müssen den Aufforderungen der Jobcenter unverzüglich Folge leisten können. Deshalb reicht eine telefonische Erreichbarkeit nicht aus. Eine unerlaubte Abwesenheit vom Wohnort kann zum Wegfall der Leistungen und Rückforderungen führen. Es gibt ein Formular, mit dem man seine sogenannte „Ortsabwesenheit“ melden kann. Hier gibt es tatsächlich ein Problem, dass aber nicht nur bei Ukrainern besteht: Diese Abmeldung geschieht in der Praxis durchaus nicht immer. Allerdings fällt die Abwesenheit in der Regel bald auf: etwa weil keine Post zugestellt werden kann.