Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk (Archivbild) Foto: imago images / photothek/Thomas Trutschel

Jetzt saß also Olaf Scholz am überlangen Tisch von Wladimir Putin. Bei Lanz ging es um die Hintergründe des Ukraine-Konflikts, Ärger über Schröder und die Sache mit den Stäbchen.

Hamburg - Diesmal also hat Olaf Scholz am überlangen Tisch von Wladimir Putin gesessen. Weil der deutsche Bundeskanzler darauf bestand, kein russisches, sondern ein deutsches Stäbchen für den Coronatest zu benutzen, saß er wie zuvor der französische Präsident Emanuel Macron auf ordentlich Abstand.

Recht hatte er, lautete das Urteil der Runde bei Markus Lanz. So sehe es das Protokoll vor, erklärte der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Putin ließe sich schließlich bei einem Gegenbesuch mit Sicherheit auch nicht auf einen deutschen Coronatest ein. Auch sonst erhielt der Bundeskanzler für seine „klaren Worte“ im Kreml zum Ukraine-Konflikt viel Lob. Nur der ukrainische Botschafter, der in der Runde nicht nur mit seiner roten Hose aus dem Rahmen fiel, war nicht zufrieden.

Wie war der Auftritt des Bundeskanzlers?

Dass Putin europäische Gesprächspartner mitunter schon durch die Inszenierung vorführe, sei keine Seltenheit, meinte die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer. In dieser Hinsicht war der lange Tisch aber der einzige Hinweis auf solche Psychospielchen. Hingegen hatten russische Medien schon im Vorfeld vom Abzug einiger Truppen von der ukrainischen Grenze berichtet.

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Die Diskutanten wollten darüber nicht in Jubel ausbrechen. Es sei aber ein positives Signal an Scholz, eine Aufwertung, meinte der Journalist Michael Bröcker. „Die Diplomatie hat noch eine Chance“, schloss Lambsdorff daraus. Mehr sei es aber auch nicht, erklärte Schwarzer. „Da werden ein paar Möbel verrückt und Panzer von einer Seite auf die andere geschoben.“ Es sei ein Geschenk an den Bundeskanzler gewesen, es müsse sich aber erst noch zeigen, ob es mehr als ein Hütchenspielertrick gewesen sei, meinte der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk.

Was will Wladimir Putin?

Putin fühle sich von der Nato umzingelt, heißt es immer wieder, wenn über die Motive für die russischen Bedrohungen gegen die Ukraine gesprochen wird. Bei Lanz wollte man es sich aber nicht so einfach machen. Offenbar wolle Putin in Kiew einen Regierungschef, der nicht nach Westen, sondern nach Osten blicke, sagte Lambsdorff. Dafür werde ein Propagandakrieg inszeniert, in dem die Regierung in Kiew als faschistische Junta dargestellt werde.

In einem Land, das sein Selbstwertgefühl immer noch zu einem großen Teil aus dem Sieg über Nazideutschland ziehe, verfange dies. Hinzu komme die Sorge um den eigenen Machterhalt. „Putin möchte kein Erfolgsmodell einer westlich orientierten Demokratie vor seiner Haustür.“ Denn das stelle sein eigenes Regierungsmodell in Frage. „Das ist ein wichtiger Grund“, sagte Melnyk. Allerdings trieben Putin auch historische Gründe. „Er möchte in die Geschichte Russlands eingehen als zweiter Peter der Große.“ Kiew gelte in diesem Konstrukt als Mutter der russischen Städte.

Wie schlug sich Scholz?

Brocker sprach vom „besten Auftritt“, seit Scholz Kanzler sei. Vor allem seine klaren Signale, dass ein Angriff Russlands ernste Konsequenzen haben werde, traf auf Lob. Ein Nato-Beitritt stehe im Übrigen gegenwärtig nicht auf der Agenda, hatte Scholz dabei klar gestellt. In seiner Amtszeit werde ihn das wohl nicht beschäftigen, bekannte Scholz und verband dies spitzbübisch mit einem Seitenhieb auf den bald 70-jährigen Putin: „Ich weiß ja nicht, wie lange der Präsident vorhat, im Amt zu bleiben“. Da sei er für seine Verhältnisse sogar richtig launig geworden, sagte Lambsdorff.

Wie sieht die Ukraine den Scholz-Besuch?

„Bei uns kam das gar nicht gut an“, sagte Melnyk, wobei es ihm weniger um den Kommentar zu Putins Amtszeit als um die vorläufige Absage an einen Nato-Beitritt ging. Dies sei sehr schmerzhaft für die Ukrainer, die doch eigentlich eine freie Bündniswahl hätten. Deutlich kritisierte er auch die Absage an deutsche Waffenlieferungen.

Schon in den vergangenen Tagen hatte er sich mehrfach öffentlich kritisch geäußert. „Da habe ich mich sehr geärgert“, sagte Lambsdorff und Lanz fragte, inwieweit Melnyk selbst Teil der gegenwärtigen Propagandamaschine sei. Zudem: „Was würden deutsche Waffen denn ändern“, fragte Lanz. Und gab selbst die Antwort. Im Angesicht der Kräfteverhältnisse würden sie nur den Krieg und die Leiden um zwei Wochen verlängern. „Waffen machen nie etwas besser.“

Und was ist mit Gerhard Schröder?

Und dann ist da noch der Geschäftsmann Gerhard Schröder. Dafür war Michael Bröcker eingeladen. Der Journalist ist einer der wenigen, die direkten Kontakt zu dem Gazprom-Manager haben. Schröder sei der Auffassung, sein Engagement sei genauso zu bewerten, wie wenn er für ein amerikanisches Unternehmen arbeiten würde. Scholz hatte in Moskau Schröders Namen nicht genannt, sondern nur von den „privatwirtschaftlichen Interessen eines ehemaligen Politikers“ gesprochen. Das sei die stärkst mögliche Distanzierung, sagte Lambsdorff.

Melnyk sagte hingegen, Schröder sei der „Inbegriff dessen geworden, warum in Osteuropa viele Deutschland nicht mehr vertrauen könnten“. Das gelte nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Polen oder das Baltikum.

Und wie geht es weiter?

Wenn eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine bis auf Weiteres ausgeschlossen sei, müsse es nun darum gehen, „die Neutralität abzusichern“, sagte Schwarzer. Der Tag in Moskau habe zumindest die Chance verbessert, die Krise noch friedlich beizulegen, meinten die deutschen Teilnehmer der Runde. Melnyk gab sich hingegen zurückhaltend. „Der Krieg ist noch lange nicht gebannt. Die Gefahr ist nach wie vor da.“ War es trotzdem ein guter Tag, fragte Lanz. „Wenn man am Leben ist, ist es immer ein guter Tag.“