Ernüchtert von Literatur und Gesellschaft: Maxim Biller Foto: imago images

Alles war umsonst: Angesichts der Tragödie der laufenden Ereignisse verzweifelt der Schriftsteller Maxim Biller an den Möglichkeiten der Literatur und kündigt an, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Der Schriftsteller Maxim Biller kündigt an, mit dem Schreiben aufhören zu wollen. Welchen Sinn habe es, fragt er in der neusten Ausgabe der Wochenzeitung „Die Zeit“, aus Wirklichkeit Fiktion zu machen, die hinterher in die Wirklichkeit zurückkehre und die Menschen vielleicht für ein paar Monate klüger und ab und zu sogar besser mache – aber doch nichts gegen den Kriegsterror eines einzelnen Serienmörders und seiner Hunderttausenden Helfershelfer ausrichten könne? In Kiew, Cherson und Odessa sei wieder einmal der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, nur dass diesmal die Russen angefangen hätten. Die Hoffnung, mit den Geschichten über vergangenes Leid, künftiges zu verhindern, habe sich nicht erfüllt.

Die Fähigkeit, sich zu Tode zu erschrecken

Die Ernüchterung über die Katastrophen-verhindernde Kraft der Literatur geht einher mit einer Ernüchterung über die Empathielosigkeit ihrer Adressaten: jenen, die in den „neuen ukrainischen Makkabäern Vitali und Wladimir Klitschko und dem ewig unausgeschlafenen jüdischen Präsidenten Selensky“ nur eine schmutzige Renaissance des Machos erkennen wollen; Postlinke, die sich über die angeblich rassistische Privilegierung ukrainischer Flüchtlinge ereifern und unbeirrt an der Appeasement-Legende von der arroganten Nato weiterstricken. „Nein, für solche Leute will ich gerade keine Romane und Erzählungen schreiben, wirklich nicht.“ Wer als Schriftsteller in einem solchen Moment der Weltgeschichte stur und mechanisch weiterarbeiten könne, lasse das wichtigste vermissen: Mitgefühl und die Fähigkeit sich zu Tode zu erschrecken.

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Maxim Biller wurde als Kind russisch- jüdischer Eltern 1960 in Prag geboren. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings emigrierte seine Familie nach Westdeutschland. Die Erfahrungen mit dem Totalitarismus prägen sein Schreiben ebenso wie die von ihm immer wieder anregten gesellschaftlichen Debatten und Kontroversen. Kurz vor dem Ukraine-Krieg habe er seinen jüngsten Roman beendet. Es könnte der letzte gewesen sein.