Ali nach einem seiner Sieg vor den Mikrofonen der Presse Foto: Arte/Michael Gaffney

Er war der eleganteste Schwergewichtsboxer aller Zeiten. Aber Ken Burns’ Doku-Vierteiler „Muhammad Ali“ bei Arte nimmt den Kämpfer für afroamerikanischen Stolz noch wichtiger.

Stuttgart - Der größte, der beste, der schönste, der schnellste, der eleganteste, der zungenfertigste Boxer aller Zeiten – diese und andere Superlative hat sich der afroamerikanische Schwergewichtler Muhammad Ali selbst verliehen. Das Besondere dabei: Nicht eine überschaubare Gruppe Boxfans, die ganze Welt hat dabei zugehört. Zeitweilig war Muhammad Ali wohl der bekannteste Zeitgenosse auf Erden, bekannter als der Papst, Frank Sinatra und der Marlboro-Cowboy zusammen.

Warum das so war, warum der am 17. Januar 1942 als Cassius Clay Geborene weit über den Boxring hinaus wirkte, wie und mit welchen Folgen er die paar Minuten Prügelei zwischen den Seilen mit den großen gesellschaftlichen Konflikten kurzschloss, das erzählt am Dienstag und Mittwoch bei Arte eine vierteilige Dokumentation des Amerikaners Ken Burns – zusammen rund siebeneinhalb Stunden lang.

Der große schwarze Anspruch

„The Louisville Lip“, die dicke Lippe aus Louisville, nannten Weiße den großmäuligen Ali früh. Bei manchen schwang da Amüsement mit, bei anderen Verachtung, bei nicht wenigen aber Furcht. Das Schwergewichtsboxen war schon vor Ali ein symbolisches Schlachtfeld des Rassismus gewesen. Hier wollte der erzkonservative Teil des weißen Amerika seine Vorherrschaft über alle anderen Hautfarben bestätigt wissen – und hatte nun größte Schwierigkeiten damit.

Cassius Clay aber war noch einmal eine ganz andere Klasse als andere schwarze Boxer. Er machte offen klar, dass er als imposanter Vertreter schwarzer gesellschaftlicher Ansprüche in den Ring trat. Und zwar als Herausforderer, der nicht nur gerechte prozentuale Teilhabe anstrebte, sondern im besten weißen amerikanischen Erfolgsgeist begierig darauf war, sich so viel zu holen, wie ihm kräftemäßig nur möglich war.

Alle anderen sind Kettenhunde

Schon mit diesem Clay könnte Ken Burns, der Doku-Mehrteiler unter anderem über den Vietnamkrieg und die Geschichte des Jazz vorgelegt hat, viel über die US-Gesellschaft erzählen. Aber Clay wurde eben auch noch Anhänger von Elijah Muhammad, jenem selbst ernannten afroamerikanischen Propheten, der seine Variante des Islams als einzig mögliche Befreiung von der Herrschaft „weißer Teufel“ predigte. Diesen Clay, der sich nun Muhammad Ali nannte, nahm der Prophet im Widerspruch zur Lehre unter seine Fittiche. „Bruder Elijah“ hielt Sport nämlich für Sünde und forderte die völlige Entkopplung des schwarzen vom weißen Amerika. Aber auf Ali als Geld- und PR-Bringer wollte er nicht verzichten.

In den meisten Kämpfen, die Ali zu bestehen hatte, stand er schwarzen Boxern gegenüber. Aber der große Polemiker verstand es, auch das heftig politisch aufzuladen. Einen Widersacher nach dem anderen stellte er als übereifrigen Uncle Tom dar oder als dumpfen Kettenhund weißer Machtansprüche. In krassem Gegensatz dazu stand die Souveränität, mit der sich Ali der weißen Medienwelt und weißer Bewunderung bediente. Er verstand das Spiel mit Images besser als Prophet Elijah, so wie es ihm ernstlicher um die Ideale der Nation of Islam ging.

Ohne Ironie und Schadenfreude

Wie Ali in die innerorganisatorischen Machtkämpfe der Muslime hineingezogen wurde, ohne sie recht zu verstehen, wie er mit der Weigerung, einer Einberufung Folge zu leisten, seine Karriere aus der Bahn brachte, wie er zwischen den Polen des Familienmenschen und des Affärenvagabunden zerrieben wurde, all das fächert Burns auf: geduldig, ohne Eifer, ohne unnötige Zuspitzungen, ohne Ironie und Schadenfreude.

Burns lässt Alis Familie zu Wort kommen, ein paar Stimmen aus der klugen Ecke von Amerikas Sportjournalismus, aber auch den Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, den Chefredakteur des Edelmagazins „New Yorker“ und den Krimiautor Walter Mosley. Sie alle reden nicht nebenher mal über Muhammad Ali. Man merkt, was er ihnen bedeutet hat, dass er tatsächlich eine Jahrhundertfigur war. Ja, siebeneinhalb Stunden mögen eine einschüchternde Länge sein, aber man lernt hier auch wieder: Die sind gar nichts gegen eine Minute im Schwergewichtsring.

Muhammad Ali. Arte, Dienstag und Mittwoch jeweils 20.15 Uhr, bereits in der Mediathek.

Muhammad Ali

Anfänge
Der 1942 als Cassius Clay geborene Ali hat mit 12 ernstlich zu trainieren begonnen, mit 18 Jahren holte er Olympia-Gold und wurde danach Profi.

Höhepunkt
In den 60er Jahren dominierte Ali seine Gegner, tanzte sie aus, brachte mit enormer Geschwindigkeit seine Schläge an. 1967 aber stoppte ihn ein Boxverbot nebst Aberkennung des Weltmeistertitels nach seiner Verweigerung des Militärdienstes.

Niederlagen
Nachdem Ali in den 70ern wieder antreten durfte, erlitt der aus der Form Gekommene demütigende Niederlagen und epische Triumphe. Ein antastbarer Ali war interessanter als ein ewig überlegener.

Krankheit
Bei Alis viel zu spätem Abschied aus dem Ring 1981 war die Parkinson-Erkrankung schon sichtbar. Der flinke Tänzler und Polemiker wurde rasch zum schlurfenden, zitternden, schleppend sprechenden alten Mann. Aber wer zuhörte, fand auch immer wieder den spöttischen Humor Alis. 2016 starb der größte aller Champion.