Andrea Straub hat in einer alten Schlecker-Filiale in Stetten am kalten Markt inzwischen ihren eigenen Laden gegründet. Foto: Thomas / Warnack

75,71 Euro hat die Schlecker-Frau Andrea Straub bisher als Entschädigung bekommen. Ein neues BGH-Urteil, das zu weiteren Zahlungen führen könnte, lässt sie deshalb kalt.

Am Dienstagmorgen fällt der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe ein Urteil, das den Schlecker-Frauen eigentlich etwas Hoffnung machen könnte. Rund 23 000 ehemalige Beschäftigte des 2012 in Insolvenz gegangen Drogeriemarkt-Imperiums, in der großen Mehrzahl Frauen, haben noch immer unbeglichene Lohn- und Urlaubsansprüche. Die Richter befinden, dass mögliche Preisabsprachen früherer Schlecker-Lieferanten zum Nachteil Schleckers neu geprüft werden müssen. Damit kann der Schlecker-Insolvenzverwalter auf 212 Millionen Euro hoffen, die er an die Schlecker-Frauen und etliche andere Gläubiger verteilen könnte.

Bekommen die Schlecker-Frauen endlich ihr Geld?

„Wir sehen uns durch das Urteil des BGH bestätigt und werden vor dem Oberlandesgericht alles dafür tun, unsere Schadensersatzforderungen durchzusetzen“, sagt Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz. „Ich bin vorsichtig optimistisch, dass wir den durch die illegalen Absprachen entstandenen Schaden vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt belegen können.“

Das Oberlandesgericht hätte nach Meinung des BGH, vereinfacht gesagt, genauer hinschauen und prüfen müssen. Schließlich hatten sich die beklagten Lieferanten laut Bundeskartellamt zwischen 2004 und 2006 kartellrechtswidrig miteinander ausgetauscht, um höhere Preise durchzusetzen. Ein Bußgeld war die Folge. Dass bei solchen Absprachen erfahrungsgemäß höhere Preise entstehen sollen – diesen „Erfahrungssatz“ habe das Oberlandesgericht zwar gesehen, aber „rechtsfehlerhaft ein zu geringes Gewicht beigemessen“.

Deshalb muss das Frankfurter Oberlandesgericht alles noch einmal neu prüfen. Die Position von Geiwitz und seiner Schadenersatzforderung von rund 212 Millionen Euro hat sich damit verbessert. Und damit dürfen auch die Schlecker-Frauen hoffen, dass sie zum Zuge kommen. Weitere zwei Jahre müssten sie sich laut Prozessbeobachtern wohl mindestens gedulden. Dass sich das Warten am Ende lohnt, das dürften etliche der Schlecker-Frauen aber bezweifeln.

Einen Vorgeschmack auf die höchstmögliche Kompensation erhielten sie diesen Sommer. Es geht um offene Ansprüche auf eine maximal dreimonatige Lohnfortzahlung bei Kündigung, es geht um Weihnachts- und Urlaubsgeld oder nicht bezahlte Zuschläge. Insolvenzverwalter Geiwitz hatte rund 21 Millionen Euro für den Kompensationstopf gesichert, die unter anderem aus den Veräußerungen aus dem Firmeninventar stammten. Das Geld wurde nicht nur an die Schlecker-Frauen, sondern auch an andere Gläubiger wie Krankenkassen, Sozialversicherungen und die Bundesagentur für Arbeit verteilt. Für die Schlecker-Frauen sollte der Betrag 15,1 Prozent der offenen Ansprüche decken.

Bei der ersten Kompensation gab es 75,71 Euro

Auch Andrea Straub (55) aus Stetten am kalten Markt erhielt von Geiwitz Post. „Völlig unerwartet“, wie sie betont. 15 Jahre lang hatte Straub bei Schlecker gearbeitet und nach der Schlecker-Pleite in der alten Filiale selbst ein Geschäft gegründet. Laut dem Schreiben standen immerhin 4530 Euro an Forderungen aus – die Abschlagszahlung betrug damit immerhin knapp 690 Euro. Beigefügt war allerdings ein Lohnzettel, der sie an jenen von Schlecker erinnerte, und am Ende lediglich 75,71 Euro auswies. Der Staat hatte rund 140 Euro an Sozialabgaben abgezogen. Die Bundesagentur für Arbeit weit über 400.

„Das hätten sie sich eigentlich schenken können“, sagt Straub. „Ich finde es traurig. So viel ist der Arbeiter dem Staat wert. Da frage ich mich, für was ich geschafft habe.“

Den Insolvenzprozess verfolgt sie schon lange nicht mehr – sie habe gar nicht gewusst, dass da noch etwas kommt. Vom Urteil des BGH hat sie erst durch die Anfrage unserer Zeitung erfahren. Ob sie jetzt damit rechnet, dass sie irgendwann noch einmal das ausstehende Geld, wohl gut 500 Euro, erhält? „Ich glaube nicht mehr daran“, antwortet sie. „Das Geld ist ohnehin ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Ähnliche Erfahrungen haben auch andere Schlecker-Frauen fast elf Jahre nach der Insolvenz gemacht. Im Sommer haben sie meist eine „niedrige bis mittlere dreistellige Summe empfangen“, kündigte Geiwitz damals an – vor Abzügen wohlgemerkt. Inzwischen haben die Schlecker-Frauen von einst eine neue Arbeit gefunden oder sind in Rente. Einige werden wohl zumindest eine weitere Kompensation nicht mehr erleben – Insolvenzprozesse können zäh sein.

Straub wird bis dahin noch weiter ihr eigenes Geld verdienen, auch wenn das Geschäft in Zeiten hoher Inflation schleppend läuft. Man merke, dass die Kunden weniger Geld in der Tasche haben, sagt sie. Sie betreibt es mit ihrer Geschäftspartnerin Karin Beck, ebenfalls eine ehemalige Schlecker-Frau, und mit zwei Aushilfen. Ab und zu packen auch die Ehemänner an. „Ohne deren Hilfe und Geld könnten wir den Laden zumachen“, sagt Straub.

Statt Schadenersatzhoffnungen hat sie derzeit andere Wünsche: „Ich hoffe, dass es hier vorwärtsgeht und die Leute wieder mehr einkaufen gehen.“

Aufstieg und Fall von Schlecker

Beginn
 1975 eröffnet der Ehinger Anton Schlecker 30-jährig in Kirchheim/Teck seinen ersten Drogeriemarkt. 1977 betreibt er bereits 100 Filialen in Deutschland, 1984 sogar 1000.

Expansion
Einige Jahre später expandiert Schlecker ins Ausland. 2007 zählt er als Marktführer unter Europas Drogerien bereits rund 14 000 Läden in 13 Ländern. Vor allem um die Jahrtausendwende gibt es immer wieder Kritik an Niedriglöhnen und Leiharbeit.

Insolvenz
 Nachdem eine Neuausrichtung der Läden zu spät kommt, geht Schlecker im Januar 2012 in die Insolvenz. Kaufinteressenten ziehen sich wieder zurück. 23 000 Beschäftigte verlieren ihre Jobs.

Prozess
 2017 wird Anton Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Seine Kinder Lars und Meike müssen für zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis.