Irgendwie klingt es absurd: Der Ausbau der erneuerbaren Energien kann Stromengpässe verursachen. Das hat physikalische Gründe und hängt mit dem nötigen Netzausbau zusammen. Über die Hintergründe eines sogenannten Redispatchs und Möglichkeiten von Verbrauchern, dabei mitzuwirken.
„Hilf mit, Kosten und CO2-Emissionen einzusparen“ - so verlautete es am Freitag auf Smartphones, auf denen die „StromGedacht“-App des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW installiert ist. Das Stuttgarter Unternehmen rief die Menschen in Baden-Württemberg dazu auf, zwischen 11 und 13 Uhr den Stromverbrauch zu verringern und vorzuverlegen. Es seien aber weder Strommangel noch Abschaltungen zu befürchten. Hintergrund war zu viel Wind im Norden und ein sogenannter Redispatch.
Was ist ein Redispatch ?
Ein Redispatch ist ein Eingriff in die Stromerzeugung, um Engpässe zu vermeiden. „Droht an einer bestimmten Stelle im Netz ein Engpass, werden Kraftwerke diesseits des Engpasses angewiesen, ihre Einspeisung zu drosseln, während Anlagen jenseits des Engpasses ihre Einspeiseleistung erhöhen müssen“, erklärt die Bundesnetzagentur. So werde ein Lastfluss erzeugt, der dem Engpass entgegenwirke. Wenn vorhandene Anlagen nicht ausreichend Strom zum Stabilisieren des Netzes einspeisen können, werden auch Reservekraftwerke hochgefahren, oder es wird Strom aus dem Ausland importiert.
Warum ist das nötig?
Physikalisch ist es so, dass der elektrische Strom nicht gezielt durch das Leitungsnetz gelenkt werden kann, sondern - ähnlich wie Wasser - den Weg des geringsten Widerstands nimmt. Bildet sich an einer Stelle ein Engpass, weil dort beispielsweise zwar viel Strom eingespeist wird, die Leitungen aber für den Weitertransport nicht ausreichen, gibt es eine Art Stau auf den überlasteten Leitungen - und der Strom fließt über andere Wege ab.
Da im Zuge der Energiewende die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, die Infrastruktur für den Stromtransport aber noch nachziehen muss, kann es in den kommenden Jahren vermehrt solche Engpässe geben. Windkrafträder beispielsweise werden im Norden gebaut, weil dort mehr Wind weht. Gebraucht wird viel Strom aber im industriereichen Süden. Verschärfend kommt hinzu, dass Wind nicht immer gleichmäßig stark weht, Sonne nicht immer verlässlich scheint. Solche Schwankungen führen im Grunde tagtäglich zu neuen Situationen auf dem Strommarkt.
Wie oft kommt so etwas vor?
Redispatch gehört dem baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW zufolge an den meisten Tagen des Jahres zur Arbeit in der Hauptschaltleitung. Selten kommt das aber in einer solchen Größenordnung vor, dass die Öffentlichkeit es unmittelbar mitbekommt. Zuletzt war das in Baden-Württemberg am 16. Januar der Fall. Um einen Stromengpass im Südwesten zu vermeiden, waren damals nach Unternehmensangaben binnen zweier Stunden am Abend etwa 800 Megawatt (MW) aus Reservekraftwerken, 740 MW aus der Schweiz und 1400 MW aus sogenannten Marktkraftwerken im Einsatz, die die notwendige Leistung bereitstellten.
Welche Folgen hat ein Redispatch für Kundinnen und Kunden?
Die Kosten für den zugekauften Strom und zusätzlich benötigte Kraftwerke aus der Reserve werden über die Netzentgelte umgelegt. Somit kommen sie über die Stromrechnung beim Endverbraucher an, wirken sich also auf den Geldbeutel aus. Ein Redispatch bedeutet aber nicht, dass Stromabschaltungen drohten oder das Netz instabil sei, betonte TransnetBW auch am Freitag.
Ist Abhilfe in Sicht?
Ja. Um das Stromnetz flexibler und effizienter zu machen, stehen der Deutschen Energie-Agentur (Dena) zufolge im Wesentlichen zwei Wege zur Verfügung, die sich ergänzen: Zum einen ist das der Ausbau. Hier werden derzeit größere Stromtrassen wie Suedlink geplant, die durch erneuerbare Energien erzeugten Strom aus dem Norden in den Süden transportieren sollen.
Zum anderen kann das Netz auch verbessert werden, indem neue sogenannte Betriebsmittel integriert und neue Betriebsstrategien gewählt werden. Hierbei spielen zum Beispiel Energiespeicher eine Rolle, die in Zeiten niedrigen Bedarfs Strom zurückhalten, um ihn in Zeiten hohen Bedarfs abgeben zu können, heißt es bei der Dena. Auch könnten Unternehmen und Haushalte zu bestimmten Zeiten auf einen Teil ihrer stromverbrauchenden Geräte verzichten oder beispielsweise das Laden ihrer Elektroautos verschieben. Laststeuerung oder Demand-Side-Management nennt man das.
Was können Verbraucher tun?
Mit einem angepassten Stromverbrauch kann man einen Beitrag leisten, das Stromnetz stabil zu halten. TransnetBW hat dafür die App „StromGedacht“ entwickelt: Sie zeigt für ein paar Tage im Voraus an, wie es um den Betrieb des Stromnetzes in Baden-Württemberg bestellt ist. Steht sie auf „Grün“, ist alles in Ordnung. „Gelb“ rät, den Stromverbrauch vorzuziehen oder zu verschieben. In dieser Zeit sollte man zum Beispiel Akkus aufladen. „Rot“ oder „Orange“ bedeutet: Verbrauch verringern. Dann sollten zum Beispiel keine Waschmaschinen angestellt und Geräte wie Laptops, die mit Akkus funktionieren, auch nur über diese betrieben werden.
Das Unternehmen rechnet vor: Wenn in 100 000 Haushalten der Appell zum Stromsparen befolgt und beispielsweise Spülmaschinen erst später angestellt würden, könnten bis zu 100 MW eingespart werden. Zum Vergleich: Neckarwestheim 2, das letzte verbliebene Atomkraftwerk im Land, hat eine Leistung von 1400 MW.
Gibt es auch Kritik?
Ja. Nach dem größeren Redispatch Mitte Januar, bei dem TransnetBW die Öffentlichkeit gezielt zum Stromsparen aufgerufen hatte, beklagte der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN), der für seine Kritik an der Atomkraft bekannt ist, Fehlanreize beim Stromhandel.
An der Börse werde Strom völlig abgekoppelt von der realen Leitungsinfrastruktur gehandelt. Verkäufer und Käufer müssten nicht klären, ob der Strom überhaupt an den Empfänger geliefert werden könne - stattdessen müssten die Netzbetreiber sogar für physikalisch unmögliche Lieferungen eine Lösung finden. „Die Kosten zahlen nicht die am Handel Beteiligten, sondern alle unbeteiligten Stromkunden.“ Stattdessen müssten umgekehrt die Regeln der Strombörse nach der Realität des Stromnetzes ausgerichtet werden, forderte der BBMN.
Die AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag sprach seinerzeit von einer „Farce“. „Die grüne Energiewende ist ganz klar gescheitert, eine durchgängige, verlässliche Energieversorgung ist mit grünem Flatterstrom schlichtweg nicht zu gewährleisten“, hieß es.