Das Ros Beiaard steht im Mittelpunkt einer mittelalterlichen Sage. Alle zehn Jahre wird dem Fabelwesen im belgischen Dendermonde gehuldigt. Foto: dpa/Philipp Znidar

Alle zehn Jahre zieht das Ros Beiaard durch die belgische Stadt Dendermonde. Die Tradition ist an eine Heldensage aus dem Mittelalter angelehnt.

Maria winkt lachend ab. Auf den Grote Markt direkt vor dem Rathaus möchte sie nicht sitzen. „Dort sind doch nur die wichtigen Leute“, sagt die alte Dame. Sie hat es sich auf einer Tribüne in der Oude Vest bequem gemacht. Eine lange, kerzengerade Einkaufsstraße in Dendermonde. „Hier hat man den besten Blick auf den ganzen farbenprächtigen Umzug und natürlich auf das mächtige Ros Beiaard.“

Das bunte Spektakel mit fast 2000 kostümierten Statisten, fast zwei Dutzend Prunkwagen, Musikern und Akrobaten findet nur alle zehn Jahre statt und lockt rund 100 000 Besucher in das Städtchen unweit von Brüssel. „Der Umzug wurde von der Unesco sogar als Weltkulturerbe eingestuft“, erklärt Maria, was doch eine sehr große Ehre für das kleine Dendermonde sei.

Eine blutige Sage aus dem Mittelalter

Die Tradition geht auf eine blutige Sage aus dem achten Jahrhundert zurück, als der Frankenkönig Karl der Große sein Reich ausbauen wollte. Graf Haimon und seine vier Söhne in Dendermonde wehrten sich gegen diesen Machtanspruch und führten eine über Jahre dauernde Fehde. Hilfe bekamen sie von dem sagenumwobenen Pferd namens „Ros Beiaard“. Nach Jahren des Kampfes machte Karl der Große ein Tauschangebot. Er wolle Dendermonde in Frieden lassen, wenn er dafür das Pferd bekäme. Die vier Brüder gingen nach dem Tod ihres Vaters auf das Geschäft ein, übergaben das Schlachtross, das daraufhin in einem Fluss ertränkt wurde. Ähnliche Heldengeschichten werden in ganz Europa erzählt, doch in Dendermonde wird die Sage durch den Umzug immer wieder neu mit Leben gefüllt.

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Schwerstarbeit für die Träger des Pferdes

Fünf Jahre hätten sich manche Teilnehmer auf diesen Tag vorberietet, erzählt Patrick Segers, der Regisseur des Spektakels. Viele Familien seien über Generationen mit dabei und fieberten jedes Mal aufs Neue dem großen Tag entgegen. Entsprechend aufgekratzt ist die Stimmung in der sonst eher beschaulichen 45 000-Einwohner-Stadt. Selbst die ersten kurzen Proben vor der ehemaligen Kaserne an der Nordlaan, wo das Pferd während der Vorbereitungen seinen „Stall“ hat, werden von Tausenden Zuschauern beklatscht. Die mit Abstand schwerste Aufgabe haben dabei die zwölf Träger des Pferdes. Sie müssen das rund 800 Kilo schwere Holzkonstruktion des Ros Beiaard durch die prunkvoll beflaggten Straßen tragen und dazwischen immer wieder kurze Sprints einlegen. Das muss über Wochen in schweißtreibenden Trainingseinheiten einstudiert werden. Doch der Stolz, Teil dieser Tradition zu sein, überwiegt bei allen Teilnehmern die Strapazen.

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Vier junge Reiter auf dem Rücken

Auf dem Pferd sitzen außerdem vier junge Männer, die Söhne des Grafen Haimon. Diese Jungs müssen außergewöhnliche Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen Brüder und zwischen 7 und 21 Jahren sein. Außerdem müssen sie, wie ihre Eltern, in Dendermonde geboren sein und dort ununterbrochen gelebt haben. All dies schränkt die Zahl der möglichen Bewerber stark ein. Für die diesjährige Parade haben sich fünf Familien gemeldet, die diese Bedingungen erfüllen. Die Wahl fiel schließlich auf die Brüder Maarten (18), Wout (13), Stan (11) und Lander (11) Cassiman, die vor dem Beginn des Umzuges gar nicht oft genug betonen konnten, wie groß die Ehre für sie sei, auf dem Ros Beiaard zu reiten. Auch sei es eine Ausdauerleistung, sich über mehrere Stunden auf dem zwei Meter breiten Rücken des Pferdes zu halten – und dabei immer ritterlich-ernst und entschlossen dreinzuschauen.

Maria wird dieses Jahr nach dem Umzug ausnahmsweise zu den „wichtigen Leuten“ gehen. Sie will sich zum ersten Mal in der Nacht das abschließende Feuerwerk auf dem Grote Markt vor dem Rathaus von Dendermonde aus der Nähe ansehen. „Ich bin nun fast 80 Jahre alt“, sagt sie, vielleicht sei es das letzte Mal, dass sie das Ros Beiaard zu Gesicht bekomme.