Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar Foto: AFP/Marco Bertorello

Der Slowene Tadej Pogacar hat den Grundstein für seinen Sieg bei der Tour de France mit einer sensationellen Leistung beim Bergzeitfahren in den Vogesen gelegt. Der 22-Jährige sorgte für so viele Superlative – und muss nun mit der Frage nach seiner Glaubwürdigkeit leben.

Paris - Ein Sieger hat immer das Problem, dass er sich seine Gratulanten nicht aussuchen kann. Das gilt natürlich auch für Tadej Pogacar. Der Slowene gewann die Tour de France im letzten Moment durch ein fulminantes Bergzeitfahren an der La Planche des Belles Filles. Danach twitterte Lance Armstrong, einer der größten Doper der Geschichte: „Das war eine der besten Leistungen, die wir jemals im Radsport gesehen haben.“ Es klang nicht nur wie ein vergiftetes Lob. Es dürfte auch so gemeint gewesen sein.

Armstrong war nicht der einzige Ex-Profi, der mehr oder weniger direkt die Glaubwürdigkeit dessen anzweifelte, was zuvor in den Vogesen geschehen war. Jens Voigt, der nicht gerade dafür bekannt ist, beim Thema Doping ein allzu kritischer Geist zu sein, meinte zum Beispiel: „Pogacar hat Roglic völlig zerstört, er war unglaublich stark. Hoffen wir, dass wir uns auch noch in fünf Jahren über diese Leistung freuen können.“ Welche Ergebnisse die Zukunft bringen wird, weiß niemand. Klar ist nur, dass vielen Beobachtern angesichts des Auftritts von Pogacar bei dieser Tour vor allem ein Wort in den Sinn kam: unglaublich! In all seinen Deutungen.

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Der Slowene machte aus dem Rennen einen einzigen Superlativ. Im 36,2 km langen Zeitfahren am Samstag radelte er wie entfesselt und nahm Primoz Roglic, dem Mann in Gelb, 1:56 Minuten ab, er gewann den Kampf gegen die Uhr 1:21 Minuten vor Tom Dumoulin. Insgesamt holte er sich drei Etappensiege, stellte an mehreren Anstiegen Rekorde auf, und das alles, ohne ein starkes Team zu haben. Pogacar, der an diesem Montag 22 Jahre alt wird, ist der jüngste Tour-Sieger seit 1904 (damals gewann Henri Cornet, 19, weil die vier Besten disqualifiziert wurden), er holte sich bei seiner Premiere nicht nur das Gelbe und das Weiße Trikot des besten Jungprofis, sondern auch den Sieg in der Bergwertung. So unersättlich war zuletzt 1969 Eddy Merckx, den sie „Kannibale“ riefen. „Ich wusste schon nach der Vuelta, bei der er drei Etappen gewann, dass er ein Großer ist“, lobte der fünfmalige Tour-Sieger nun Pogacar. „So eine Nummer macht man nicht, wenn man kein Talent hat.“

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An Talent, das steht fest, mangelt es dem Slowenen nicht. Gerne erzählt wird die Geschichte, wie Andrej Hauptman ihn vor zehn Jahren entdeckt hat. Bei einem Jugend-Kriterium erkundigte er sich, wer denn der kleine, schmächtige Junge sei, der verzweifelt versuche, am Feld dranzubleiben. Das, bekam er zur Antwort, sei Tadej Pogacar, und er fahre nicht hinterher, sondern sei gerade dabei, die anderen zu überrunden. Pogacar und sein Förderer arbeiten immer noch eng zusammen, Hauptman ist slowenischer Nationaltrainer. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Ex-Profi 2000 wegen eines Hämatokritwertes von über 50 Prozent, der auf Epo-Doping hindeutet, nicht zur Tour zugelassen wurde. Dass Mauro Gianetti, der Boss von Pogacars Team UAE, einst die Mannschaft Saunier-Duval leitete, die 2008 nach mehreren Dopingfällen (unter anderem von Riccardo Ricco) die Tour verlassen musste. Dass in der Operation Aderlass viele Spuren nach Slowenien führen. Und dass, so hat es die französische Zeitung „Le Monde“ errechnet, 42 Prozent der slowenischen Fahrer, die zwischen 2009 und 2019 Profis wurden, Dopingstrafen kassiert haben. Das alles sind keine Beweise gegen Pogacar. Trotzdem kann es nicht schaden, ihn etwas kritischer zu betrachten, als dies Greg Lemond ganz offensichtlich tut. Der frühere Tour-Sieger meinte am Samstag: „Das war die Geburt eines großen, großen Champions.“

Derweil zeigte sich Pogacar, der aus Komenda stammt, einem Städtchen nördlich von Ljubljana, überwältigt von sich selbst. „Das alles ist zu groß für mich“, sagte der Sohn einer Universitätsprofessorin, als er erstmals im Gelben Trikot zur Pressekonferenz erschien, „ich bin nur ein Kind aus Slowenien, kann es immer noch nicht verstehen.“ Und dann erzählte er doch noch ein bisschen. Über seine Jugend, in der er bei Tour-Übertragungen Alberto Contador zugejubelt und ihm später im Training nachgeeifert hat. Über seine Freundin Urska Zigart, die ebenfalls Radsportlerin ist und gerade beim Giro d’Italia war. Und über ihr gemeinsames Leben in Monaco, wo sie bisher noch weitgehend unbehelligt wohnen. „Die Dinge werden sich verändern“, meinte Pogacar, „aber ich möchte der bleiben, der ich bin – und Spaß haben, das Leben genießen.“

Ob das klappt? Zumindest sportlich wird der Druck wachsen auf den aktuell besten Rundfahrer der Welt. Denn nun geht es darum, all die Superlative zu bestätigen. Richie Porte glaubt daran, dass dies möglich ist. „Pogacar war furchteinflößend“, meinte der drittplatzierte Australier, „er ist bei der Tour gefahren wie von einem anderen Planeten.“