Annemiek van Vleuten (links, daneben Margarita Victo Garcia Canellas) ist die große Favoritin auf das Gelbe Trikot. Foto: imago/frontalvision.com

Ein neuer Anlauf: Am Sonntag starten die Radsportlerinnen am Eiffelturm zur Frankreich-Rundfahrt – zum ersten Mal seit 2009.

Es könnte nicht spektakulärer losgehen. An diesem Sonntag startet der nächste Versuch, eine Tour de France für Frauen zu etablieren. Und natürlich ist es legitim, dafür den Windschatten des Männer-Rennens zu nutzen. Also beginnt die erste Etappe am Eiffelturm und biegt dann auf den Kurs ein, auf dem ein paar Stunden später der finale Sprint des Pelotons um Wout van Aert stattfindet. Die Wahl der Strecke hat Symbolkraft. „Alle in unserem Team unterstützen die Idee der Gleichberechtigung“, sagt Marion Rousse, die Chefin der Tour de France Femmes. Doch zugleich stellt sie klar: „Wir sind allerdings kein Anhängsel des Männer-Rennens, sondern ein eigenes großes Event.“ Mit hohem Anspruch an sich selbst.

Unterschiedliche Formate

Es gab immer wieder Versuche, eine Tour de France für Frauen zu etablieren – in unterschiedlichsten Formaten. Erstmals 1984, und am Anfang lief es auch nicht schlecht. Letztlich aber fehlte es an Professionalität, sowohl sportlich wie auch organisatorisch, weshalb zuletzt nur noch Eintagesrennen für Frauen im Rahmen der Männer-Tour veranstaltet wurden. Jetzt soll eine neue Zeitrechnung beginnen, und die Chancen für eine eigene Ära stehen so gut wie selten zuvor.

Die Entwicklung im Frauenradsport ist enorm, nicht zuletzt weil viele World-Tour-Rennställe mittlerweile neben ihrem Männer- auch ein Frauenteam unterhalten und bewährte professionelle Strukturen bieten. Das sportliche Niveau wird immer höher, die Rennen sind sehenswert und werden immer mehr, darunter sind nun auch große Klassiker wie Paris–Roubaix. Und auf der anderen Seite macht die Aso Ernst. Das Unternehmen, das die Tour de France veranstaltet, will auch die Tour de France Femmes zu einer Marke machen. „Wir sind bereit, uns in dieses Abenteuer zu stürzen“, sagt Direktor Christian Prudhomme, „dieses Rennen wird im Frauenradsport neue Maßstäbe setzen.“ Ein Gesicht hat es jetzt schon. Marion Rousse (30) ist nicht nur die Chefin der Frauen-Tour, sondern zugleich die perfekte PR-Botschafterin. Sie war selbst Radprofi, hat sich danach als kompetente TV-Begleiterin der Grande Boucle einen Namen gemacht und kleinere Rundfahrten organisiert. Zudem bildet sie mit Ehemann Julian Alaphilippe das Traumpaar des Radsports. Ab sofort verantwortet sie bei der Aso auch noch das Projekt Emanzipation. „Ich bin nicht Kommentatorin geworden, weil sie beim Fernsehen eine nette Blondine brauchten, sondern weil ich weiß, wovon ich spreche, wenn es um Radsport geht“, sagte Marion Rousse dem Magazin „Tour“. Entsprechend selbstbewusst geht sie an ihre neue Aufgabe heran: „Sportlich steht der Frauenradsport dem der Männer in nichts nach. Die Tour de France der Frauen wird dem großen Namen gerecht werden. Ich werde alles dafür tun, dass es dieses Rennen lange gibt.“ Erst mal geht es allerdings um das Comeback.

Eine Rampe mit 24 Prozent Steigung wartet am Ende

Auf den Start in Paris folgen sieben weitere Etappen (insgesamt 1029 Kilometer), vor allem das Finalwochenende hat es in sich. Am Samstag geht es in den Vogesen auf den letzten 90 Kilometern über drei schwere Anstiege mit 3000 Höhenmetern. Und am Sonntag wird die Siegerin dort gekürt, wo auch die Männer zuletzt eine große Show zeigten – in La Super Planche des Belles Filles wartet am Ende eine Rampe mit 24 Prozent Steigung. „Junge Mädchen“, sagt Marion Rousse, „können sich jetzt endlich mit weiblichen Champions identifizieren.“

Die Favoritin auf das Gelbe Trikot ist die Niederländerin Annemiek van Vleuten (39), die vor zwei Wochen beim Giro d’Italia triumphierte. In Liane Lippert, Lisa Brennauer, Hannah Ludwig, Kathrin Hammes, Hannah Buch und Franziska Koch sind auch sechs Deutsche am Start, die versuchen werden, einen Etappensieg einzufahren. „Das ist mein großer Traum“, sagt Lisa Brennauer, die Bahnrad-Olympiasiegerin und Zeitfahrspezialistin, „schon als Kind saß ich vor dem Fernseher, habe mitgefiebert und zugeschaut, wie die Profis die Berge hochstrampeln. Und jetzt darf ich da selbst mitfahren. Das ist schon ein irres Gefühl.“ Und trotzdem gibt es noch Steigerungspotenzial.

Prämien und Etappen sind reduziert

Der Sieger der Männer-Tour erhält eine Prämie von 500 000 Euro, die Siegerin nur ein Zehntel davon. Die Zahl der Etappen (21 zu 8) differiert ebenfalls erheblich, die Frauen sind weder in den Alpen noch in den Pyrenäen unterwegs. Das alles ist auch Marion Rousse bewusst. „Wir werden die ganz hohen Pässe bekommen, das ist keine Utopie“, sagt sie, „aber zunächst einmal geht es darum, die wirtschaftliche Basis des Frauenradsports zu stärken und zu stabilisieren.“ Darüber entscheidet natürlich auch das Interesse – an der Strecke und vor den TV-Bildschirmen (Eurosport überträgt live). Marion Rousse ist voller Zuversicht: „Wir werden zeigen, dass die Tour de France Femmes eine Zukunft verdient.“