Ein Teil der Blindensportgruppe (vordere Reihe von links): Foto: /Blindensportgruppe (z)

Schon immer donnerstags, schon immer von 17.15 bis 18.45 Uhr und schon immer in der Sporthalle der Sommerrainschule.

Sommerrain - Voller Begeisterung warfen und streckten sich die Blinden-Torballspieler letztmals am 22. Oktober dieses Jahres nach dem Ball. Die Personen haben sich zwar geändert, der Ort und die Anfangszeiten sind jedoch identisch mit denen vor 60 Jahren. Am 10. November 1960 fand sich die Blindensportgruppe Stuttgart erstmals zusammen. Wie heute war es ein Donnerstag, wie heute die Trainingszeit von 17.15 bis 18.45 Uhr, wie heute die Trainingsstätte die Sporthalle der Sommerrainschule. „Die Halle ist bestens für unseren Sport geeignet, es wurde von der Stadt sogar ein Torball-Feld eingezeichnet“, sagt Alexander Knecht, der seit 1989 Trainer des Torballteams ist und dieses Amt seit 2017 gemeinsam mit Theresa Stahl ausübt.

Beim Torball wird Drei gegen Drei gespielt, drei Matten dienen als Orientierungshilfen. Das Feld hat die Maße 7 x 16 Meter, die gesamte Breite stellt das Tor dar, das 1,30 Meter hoch ist. In der Mitte sind drei Schnüre mit einer Höhe von 40 Zentimeter gespannt. Darunter muss der Ball durchgeworfen werden. Streift das Spielgerät, in dessen Innerem sich rasselnde Metallringe befinden, eine der Leinen, erklingt ein Glöckchen, was gleichbedeutend mit einem Strafwurf und der kurzfristigen Hinausstellung eines Spielers ist. Die Spielzeit beträgt 2 x 5 Minuten.

Blind sein ist nicht die Voraussetzung zum Mitspielen – auch Sehende sind erlaubt. Bei Turnieren werden jedem Akteur – egal ob blind oder nicht – „die Augen zugeklebt, und drüber kommt noch eine Brille, vergleichbar mit der vom Skifahren, nur verdunkelt“, klärt Alexander Knecht, der die volle Sehstärke besitzt und auch fester Bestandteil des Teams ist. „Mein Vorteil im Vergleich zu den blinden Spielern ist, dass ich mich im Raum beziehungsweise auf dem Spielfeld orientieren kann“, sagt die mitspielende Trainerin Theresa Stahl, die aber „auf die Kommandos beziehungsweise die Kommunikation meiner Mitspieler angewiesen“ ist. Sie würden einfach schneller erkennen, wo ein Ball hinkäme.

Die Blindensportler, die sowohl bei den Damen und Männern mittlerweile für den SV Hoffeld in der ersten Bundesliga spielen, umfassen aktuell 20 Aktive. Baden-Württemberg weit ist die „Sommerrain-Truppe“ das einzige Team. Das hänge auch damit zusammen, dass man gegen Blindheit heutzutage operativ viel machen könne, so Knecht. Der 40-jährige Torsten Steimle kommt jeden Donnerstag aus Murrhardt zum Training nach Sommerrain. Aufgrund des Grünen Stars verlor er über „einen Zeitraum von 20 Jahren“, sagt er, mit 35 Jahren vollends sein Augenlicht. Seit drei Jahren ist er beim Torball begeistert dabei. „Einerseits mache ich etwas für mich, andererseits herrscht hier ein super Teamgeist und es macht Spaß, ein Teil der Truppe zu sein.“ Darüber hinaus freue er sich bei Freundschaftsspielen, auch im Ausland, immer wieder auf neue Bekanntschaften.

Schaut man sich die zielgerichteten Bewegungen von Waldemar Kafner abseits des Spielfeldes an, tippt man bei ihm nicht auf eine Sehschwäche. Die hat er aber. „Ich habe Albinismus und nur noch eine Sehstärke von zwei Prozent“, sagt der 35-jährige Cannstatter. Er schaute vor einem Jahr bei einem Zweitliga-Spiel vorbei und sein damaliges Fazit: „Das ist ja einfach.“ Wenn es so einfach sei, dann solle er doch einfach mal mitspielen, bekam er prompt zur Antwort. Sobald er die Brille überzog, sei es plötzlich nicht mehr einfach und schwierig sich zu orientieren gewesen, so Kafner. Aber: „Es hat unheimlich viel Spaß gemacht und ich bin geblieben.“ Eine weise Entscheidung: Mittlerweile wurde der Cannstatter vom Nationaltrainer zu einem Lehrgang eingeladen.

Die Geschichte der Blindensportler hatte eine Vorgeschichte. 1958 gründete der Turnerbund Cannstatt eine Versehrtensportabteilung. Ein Jahr später kam Alexander Knechts Vater Edgar als erster Blinder dazu. Zunächst musste er, solange die Sportkameraden vor allem Sitzball spielten, meistens für sich allein Übungen an der Sprossenwand machen. Trotz teilweise Langerweile blieb er aufgrund „der tollen Kameradschaft“, so Alexander Knecht, der Gruppe treu. Als 1960 weitere Blinde und Sehbehinderte zur Versehrtensportabteilung kamen, führte der damalige Abteilungsvorsitzende Wolfgang Rochhausen für sie eine eigene Trainingsstunde ein – die Geburtsstunde der Blindensportlergruppe am 10. November 1960. Standen zunächst Geräteturnen, Leichtathletik, Zirkeltraining und Rollball im Mittelpunkt, folgte Mitte der 1970er-Jahre der in den folgenden Jahren beliebte Torballsport. Erster Übungsleiter war lang Wolfgang Rochhausen. Lothar Seidel löste Anfang der 1980er-Jahre Manfred Beißwenger als Trainer der Blindensportgruppe ab, ehe Alexander Knecht folgte.

Die Versehrtensportabteilung machte sich 1971 als Stuttgarter Versehrtensportverein eigenständig und wurde 1976 in Behindertensportverein Stuttgart umbenannt. Nachdem ab der Jahrtausendwende eine Sportabteilung nach der anderen den BSV Stuttgart verließ, folgte die Blindensportgruppe 2009 der Tischtennisabteilung und fand, ebenso wie diese bereits einige Jahre zuvor, beim SV Hoffeld eine neue Heimat. Dennoch: Die Sporthalle der Sommerrainschule blieb die Trainingsheimat. „Sie ist, was die räumlichen Gegebenheiten, sowie den Anschluss an den Öffentlichen Nahverkehr angeht, ideal für unsere blinden und sehbehinderten Sportlerinnen und Sportler aus ganz Württemberg“, sagt Knecht.

Internationale Begegnungen und die Teilnahme an diversen Wettkämpfen und Turnieren im Ausland verbunden mit zahlreichen Erfolgen gehören ebenfalls zur 60-jährigen Geschichte der Blindensportgruppe. Darüber hinaus richteten die Stuttgarter Turniere wie beispielsweise den inklusiven Württemberg Cup und die offene internationale Baden-Württembergische Torballmeisterschaft aus.

Nun hoffen die Sportler, sich nach dem Lockdown im Dezember wieder nach dem Ball werfen zu können – so wie vor 60 Jahren, an einem Donnerstag, von 17.15 bis 18.45 Uhr, in der Sporthalle der Sommerrainschule.