Die Ermittlung im Mord an einer 15-Jährigen in Salzgitter dauern an. Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Der Tod eines 15-jährigen Mädchens im niedersächsischen Salzgitter ist besonders schockierend, weil die Tatverdächtigen zwei Jugendliche im Alter von 13 und 14 Jahren sind. Wie konnte es zu der Tat kommen?

Die Bestürzung ist groß: Polizeibeamte haben am Dienstag den Leichnam einer 15-Jährigen in einer Grünanlage in Salzgitter-Fredenberg (Niedersachsen) entdeckt. Sie war am Sonntag als vermisst gemeldet worden. Nach Auskunft der Behörden ist das Mädchen erstickt worden.

Als dringend tatverdächtig gelten zwei Teenager, 13 und 14 Jahre alt. Der 14-Jährigen sitzt mittlerweile wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Beim 13-jährigen Tatverdächtigen wurde das Jugendamt eingeschaltet, da eine Inhaftierung wegen Strafunmündigkeit nicht möglich sei. Die Schuldfähigkeit beginnt in Deutschland erst mit dem 14. Geburtstag.

Opfer und die mutmaßlichen Täter kannten sich

Wie es zu der Tat kommen konnte, wird derzeit von den Ermittlern untersucht und werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Sicher sei bislang lediglich, dass das Opfer und die mutmaßlichen Täter aus demselben Viertel kommen und sich gekannt haben. „Es hat sich dann offensichtlich, zumindest aus Sicht der Täter, eine Feindschaft entwickelt, und das Ganze ist dann offenbar in der Tat eskaliert“, sagte Staatsanwalt Christian Wolters in einem Interview mit dem Sender RTL.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig geht von einem Mord aus und sieht niedrige Beweggründe. Ersten Erkenntnissen zufolge ist die Tat heimtückisch erfolgt, weil die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt worden sei. Die mutmaßlichen Täter schweigen zum Tathergang.

Treibende Kraft aus der Gruppe

Was Kinder oder Jugendliche zu solchen Taten bewegt und zu Mördern werden lässt, könne mangels empirischer Grundlagen bislang nur schwer erforscht werden, sagt der Kriminologe Dirk Baier aus Zürich unserer Zeitung. „Die treibende Kraft für derartige Taten entwickelt sich meist aus einer Gruppe von zwei bis drei Personen“, erklärt er. „Man schaukelt sich stückweit auf.“ Meist liege solchen Taten kein ausgeklügelter Plan, keine absolute Tötungsabsicht zugrunde, selbst wenn absichtlich ein Treffen herbeigeführt werde, „um es jemanden mal richtig zu zeigen“. Es komme vielmehr aus der Situation heraus zu einer Eskalation beziehungsweise führe zu einer Kurzschlussreaktion. „Das ist unglaublich tragisch. Und klar muss auch sein, dass die Opfer bei solchen Fällen niemals eine Schuld trifft“, betont Baier.

Verrohte Jugend?

Von der oft beschworenen Verrohung der Jugend will der Kriminologe nichts wissen: „Im langfristigen Vergleich hatten wir zwischen 2000 und 2005 deutlich höhere Jugendgewalt hier in Deutschland. Im Zeitraum zwischen 2007 und 2015 hat sie sich nach Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik sogar halbiert“, sagt Baier.

Es sei richtig, dass die Zahlen seit 2015 wieder leicht anstiegen, aber längst nicht auf das frühere Niveau. Baier weiter: „Letztlich verhalten sich Jugendliche heute gesitteter als vor 20 Jahren. Das Erscheinungsbild wird aber meist durch die geprägt, die Normen überschreiten. Sie sind sichtbarer und werden lauter wahrgenommen.“

Prävention ist wichtig

Selbst wenn Taten wie die in Salzgitter niemals ausgeschlossen werden könnten, sei es grundsätzlich richtig, alle Energie auch weiterhin in die Prävention unter Kindern und Jugendlichen zu investieren. „Es muss der Anspruch sein, Straftaten, insbesondere schwere Straftaten zu verhindern“, sagt Baier. „Dafür wurde in der Vergangenheit viel getan – Konfliktlösungs- oder Empathietraining in Schulen beispielsweise.“ Dieses Engagement dürfe nicht nachlassen.

Bis zum 14. Geburtstag gilt man in Deutschland vor dem Gesetz als Kind und kann nicht strafrechtlich belangt werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Kinder noch nicht in der Lage sind, abzuschätzen, ob sie etwas Falsches tun und was für Konsequenzen das haben könnte. Sie können ihr Verhalten nicht entsprechend steuern. Aus diesem Grund können Kinder grundsätzlich nicht strafrechtlich belangt werden, Jugendliche dagegen schon.

Eine Frage der Strafmündigkeit

Ob letzteres zutrifft oder eine Schuldunfähigkeit vorliegt, muss auch im Fall in der Tatverdächtigen in Salzgitter juristisch geprüft werden. Vom 14. bis 18. Geburtstag gilt man als bedingt strafmündig. Ob das eher erzieherisch angelegte Jugendstrafrecht angewendet wird, ist vom jeweiligen Fall abhängig. Mit dem 18. Geburtstag tritt dann die volle Strafmündigkeit ein, inklusive einer Übergangszeit bis zum 21. Geburtstag, in der noch das Jugendstrafrecht greifen kann. In Frankreich beispielsweise wird das Jugendstrafrecht bereits für Kinder ab zehn Jahren angewendet, von 13 Jahren an können sie theoretisch auch zu Gefängnisstrafen verurteilt werden.

Wie werden Straftaten verhindert?

Eine meist reflexartig geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts hält der Kriminologe Dirk Baier für nicht zielführend. Die Forderung nach härteren und längeren Strafen würde meist nur dazu dienen, die Öffentlichkeit zufriedenzustellen. Straftaten würden damit nicht verhindert werden. „Ich glaube, die Diskussion braucht es derzeit nicht, schon gar nicht festgemacht an einem einzigen Fall“, sagt Baier. „Man muss sich auch stückweit davon verabschieden, dass ein 13-Jähriger nach so einer Tat ganz normal sein Leben weiterleben kann, weil er noch nicht strafmündig ist.“