Exzentrischer geht es wohl kaum: Joseph „Joe Exotic“ Maldonado-Passage mit einem Tiger. Foto: Courtesy of NETFLIX

Die neue Netflix-Doku „Tiger King“ hat alles, was man sich im Traum nicht ausdenken kann: Tigerzucht, Polygamie, einen homosexuellen Waffennarr und Countrysänger, Drogensucht, Auftragsmorde und gleich mehrere Kriminalfälle. Die Serie im Check.

Stuttgart - Wenn selbst Nebenfiguren, wie ein Mafia-Pate oder ein selbsternannter Guru inklusive Sex-Harem, als nebensächlich und geradezu normal erscheinen, dann ist man wahrscheinlich schon völlig im Bann des schrillen Joe Exotic und seiner verrückten Redneck-Welt. Die True-Crime-Serie, die eigentlich als Doku über exotische Tierzucht in den USA geplant war, offenbart sich mit ihren obskuren Verknüpfungen als Studie über ein Milieu, das Waffen genauso wie Meth liebt, in dem Korruption, Tierquälerei und Tigerbabys in Hotelzimmern zum guten Ton gehören.

„Tiger King: Murder, Mayhem and Madness“ (deut. „Großkatzen und ihre Raubtiere“) erzählt in sieben Episoden die unfassbare Geschichte privater Wildtier-Zoos in den USA. Parkbetreiber Joe Exotic, der sich selbst den Titel „Tiger King“ gegeben hat, kämpft gegen seine Rivalin Carole Baskin, die wiederum einen Art Gnadenhof für Raubkatzen betreibt, und der vorgeworfen wird, ihren millionenschweren Ehemann den Raubkatzen verfüttert zu haben. Doch das ist nur eine Nebenerzählung dieses Epos.

Wer ist gut, wer ist böse?

Das Regie- und Produktionsduo Eric Goode und Rebecca Chaiklin führte für die Serie hunderte Interviews, recherchierte altes Film- und Fotomaterial und traf allerhand illustre Weggefährten des Tiger Kings, der sich auch selbst über Jahre hinweg rund um die Uhr filmen ließ und der mittlerweile zu einer 22-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Zu diesen Nebendarstellern gehört auch der verurteilte Drogenboss Mario Tabraue, der als Inspiration für die Figur des Tony Montana in Scarface gedient haben soll. Doch in direktem Vergleich zu Joe Exotic, dem „schwulen, bewaffneten Cowboy mit Vokuhila“, wirkt der Drogenschmuggler wie der nette Nachbar von nebenan.

Die Milieustudie gibt Einblicke in eine Welt von Verlierern, Drogensüchtigen, Verurteilten und Randgestalten. Selbst wenn man denkt, es könnte nicht verrückter werden, hält Joe Exotic die Grabrede auf seinen verstorbenen Ehemann Travis, und beschwört – verkleidet als Priester – vor der versammelten Trauergemeinde die wunderschönen Hodensäcke des Verblichenen. Travis Maldonado war jedoch nur einer seiner Ehemänner. Der Tiger King hielt sich mehrere heterosexuelle Männer, die er mit Meth und Tigerbabys manipulierte und so an sich band.

Eskapismus in Zeiten der Krise

Die Serie läuft seit dem 20. März auf Netflix – und hat sich während dieses weltweiten Ausnahmezustands zu einem wahren Eskapismus-Hype entwickelt. Unzählige Theorien, Memes und „Was wurde aus...“-Fragen lassen den Zuseher auch nach sieben Folgen Wahnsinn nicht los.

Das Geheimnis der Serie? Es gibt keinen privilegierten Wahrheitsanspruch, jeder Erzähler vertuscht und hetzt gegen die anderen, jeder Plot wird von einer noch abstruseren Wendung gejagt und am Schluss bleibt neben all dem Irrwitz ein Gefühl der Ratlosigkeit und des Mitleids. Nicht nur mit den Hunderten Tigern und Löwen in Gefangenschaft.