Fraser frisch gekürt bei der diesjährigen Oscarverleihung. Foto: Getty Images via AFP/RODIN ECKENROTH

Brendan Fraser ist der oscarprämierte Hauptdarsteller in „The Whale“. Er fordert einen würdevollen Umgang mit übergewichtigen Menschen.

Mit einer Körpergröße von über 1,90 Meter und eher kräftiger Statur ist Brendan Fraser eine eindrucksvolle Erscheinung. Umso überraschender ist es, wie klein sich der Schauspieler im Interview macht, mit leiser Stimme und bescheidenem Auftreten. Kurz nach der Weltpremiere seines neuen Films „The Whale“ (aktuell im Kino) trafen wir den 54-Jährigen in Venedig. Also noch Monate bevor er für ebendiese Rolle eines schwer übergewichtigen Mannes, der eine neue Beziehung zu seiner Tochter aufzubauen versucht, den Oscar gewann.

Mr. Fraser, nach einigen Jahren, die Sie eher fernab des Rampenlichts verbracht haben, feiern Sie aktuell Ihr großes Comeback. Wie geht es Ihnen damit?

Ich war ja ehrlich gesagt nie wahnsinnig weit weg (lacht). So schnell wird mich schließlich niemand los. Aber was soll ich sagen . . . Ich kann nicht wissen, was kommen kann. Mag es nun sein, was es will, ich werde dazu lachen. So schrieb es unser Freund Herman Melville 1851 in „Moby Dick“.

Darren Aronofsky, der Regisseur von „The Whale“, berichtet, dass er lange nach einem Hauptdarsteller gesucht habe. Nachdem er auf Sie stieß, habe es keine Alternative gegeben. War diese Rolle wie gemacht für Sie?

Ich bin mir sicher, dass Darren auch jemand anderen gefunden hätte, wenn wir uns nicht begegnet wären. Für mich war es einfach ein großes Glück, dass ich derjenige war, der im richtigen Moment sein Büro betrat. Gleich zu Beginn trafen Darren, meine Filmtochter Sadie Sink und ich uns, um gemeinsam das Drehbuch zu lesen. Wenn da die Chemie nicht gestimmt hätte, bin ich sicher, dass wir heute nicht hier säßen. Faule Kompromisse wäre er nicht eingegangen. Zum Glück! Denn von den Standards, die er an die eigene Arbeit anlegt, habe ich enorm profitiert.

In welcher Hinsicht?

Zu sehen, wie gründlich und kompromisslos er sich diesem Projekt verschrieb, hat uns alle angespornt. Ohne ihn hätte ich diese Rolle nicht auf solche Weise spielen können. Darren ist ein Regisseur, der uns mit seiner Arbeitsweise zu besseren Schauspielern macht. Dazu gehörte zum Beispiel eine Probenzeit von drei Wochen in einem Raum, der exakt den Maßen des Filmsets entsprach. Es war, als wären wir Orchestermusiker, die ihre Stücke üben, damit wirklich alles sitzt, wenn dann die Kamera läuft. Ich habe das nicht als beengend, sondern im Gegenteil sehr befreiend empfunden. Ähnlich übrigens wie die Covid-Auflagen, die uns noch enger zusammengeschweißt haben und im ganzen Team dafür sorgten, dass wir alle sehr das Wohlergehen der anderen im Sinn hatten.

Sie spielen einen Professor, der mehr als 270 Kilogramm wiegt und seine Wohnung nicht mehr verlässt. Wie haben Sie sich in diesen Mann verwandelt?

Was die Physis angeht, war das ein durchaus aufwendiges Prozedere. Erst wurde ein Scan meines Körpers angefertigt, dann machte sich davon ausgehend unser Prosthetic-Make-up-Designer daran, mit seinem Team in Montreal basierend auf Recherchen und seiner sowie Darrens Vision virtuell ein Modell zu kreieren. So wurde festgelegt, wie ich als dieser Charlie am Ende aussehen sollte. Am 3-D-Drucker wurde dann aus verschiedenen Silikonmaterialien alles hergestellt, woraus später um mich herum dieser Körper modelliert wurde.

Das war also nicht ein klassischer Fatsuit, in den Sie hineingeschlüpft sind?

So hätte man das vielleicht früher gemacht, aber uns war es wichtig, dass das nichts von einem Kostüm und der damit einhergehenden Künstlichkeit hat. Oberste Devise war immer, dass dieses Körpergewicht so authentisch und menschlich wie möglich aussieht. Es dauerte jeden Morgen sechs Stunden, all die einzelnen Prothesenteile anzulegen, inklusive der Kabel und Schläuche, die dafür sorgten, dass stets überall genug kaltes Wasser durchfloss, damit ich unter all dem Material nicht zu viel schwitzte.

Auch angesichts der engen Wohnung, in der sich die Handlung abspielt, klingt das fast klaustrophobisch . . .

Das habe ich nicht so empfunden. Klar, Charlies Welt ist klein, sie beschränkt sich auf dieses Zwei-Zimmer-Apartment irgendwo in Idaho. Er ist abhängig vom Fernsehen und Internet, und vor allem kann er nur überleben, wenn ihm Essen gebracht wird, sei es vom Lieferdienst oder von seiner guten Freundin, die sich um ihn kümmert. Was ein Teufelskreis ist, denn die Qualität der industriell verarbeiteten Lebensmittel in den USA ist meist schlecht und die Portionen riesig, weswegen man immer mehr und mehr isst und immer ungesünder wird.

Haben Sie sich mit Menschen unterhalten, die in solchen Situationen leben?

Ja, ich bin mit der Obesity Action Coalition in Kontakt getreten und habe mir von Menschen dort ihre Geschichten erzählen lassen. Ich bin selbstverständlich kein Psychologe und mir sicher, dass es sehr unterschiedliche Gründe gibt für diese Form von Übergewicht. Aber mir fielen ein paar Gemeinsamkeiten auf in dem, was mir diese Menschen anvertrauten. Fast alle von ihnen haben in ihrer Jugend erlebt, dass jemand grausam und gemein zu ihnen war, vor allem verbal. Sprache kann schlimmste Verletzungen anrichten, das vergisst man oft. Ich verstehe das nur allzu gut, weil ich selbst oft erlebt habe, wie es ist, wenn man beschimpft und lächerlich gemacht wird. Der Schaden, den man nur mit Worten anrichten kann, ist mitunter enorm. Nicht zuletzt in sozialen Netzwerken.

Hatten Sie diese realen Lebensgeschichten beim Spielen der Rolle im Kopf?

Ich trug sie tief in mir, all diese Verletzungen und Frustrationen, von denen ich gehört hatte. Dass wir so eng mit der Obesity Action Coalition zusammenarbeiteten, war für uns alle sehr wichtig, und ich hatte es sehr verinnerlicht, wie bedeutsam es für diese Menschen war, ihresgleichen mit Würde und Respekt auf der Leinwand repräsentiert zu sehen. Charlie als Menschen aus Fleisch und Blut zu zeigen und nicht bloß als dicke Witzfigur – das war stets das oberste Ziel.

Action-Star und Charakterdarsteller

Biografie
 Brendan Fraser wird 1968 als Sohn kanadischer Eltern in Indianapolis geboren. Er studierte Schauspiel in Toronto und absolvierte in Seattle.

Filme
 Zum Star wurde Fraser in den neunziger Jahren mit Komödien und Actionfilmen wie „Airheads“ und „Die Mumie“. Zuletzt spielte er kleine Rollen in Serien wie „Trust“ und „Condor“ sowie Steven Soderberghs „No Sudden Move“. Für seine Darstellung des schwer übergewichtigen Protagonisten in „The Whale“ gewann er in diesem Jahr den Oscar als Bester Hauptdarsteller.