Mit einem Sattelschlepper fuhr der Tunesier Anis Amri am Abend des 19. Dezember 2016 in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche: 13 Menschen starben, 67 wurden verletzt. Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Fünf Jahre nach dem islamistisch motivierten Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt Berlin ist in Deutschland im Kampf gegen Terror wenig passiert, kommentiert unser Autor Franz Feyder.

Stuttgart - Eine grauenvolle Erinnerung: 1827 Tage ist es an diesem Montag her, dass der Tunesier Anis Amri einen gekaperten Sattelzug in die Besucher des Weihnachtsmarktes an der Berliner Gedächtniskirche steuerte. 13 Menschen starben bei diesem niederträchtigen Anschlag und an den Folgen. Mindestens 67 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Terrorist überließ sie ihrem Schicksal und floh, wurde aber am 23. Dezember in Italien bei einer Routinekontrolle von Polizisten erschossen. Die Terrororganisation Islamischer Staat verbreitete wichtigtuerisch, Amri habe als ihr „Soldat“ gehandelt.

1873 Seiten ist der Bericht dick, den die Abgeordneten des vier Jahre lang arbeitenden Untersuchungsausschusses des Bundestages zu diesem Attentat am Breitscheidplatz im Juni präsentierten. Auch in Nordrhein-Westfalen und Berlin untersuchten die Parlamente in eigenen Ausschüssen den Terrorakt und den Weg dahin. Die Recherchen zeichnen ein verheerendes Bild: Der Anschlag wäre höchstwahrscheinlich zu verhindern gewesen. Die Parlamentarier listen individuelle wie behördliche Fehleinschätzungen und Versäumnisse auf, strukturelle Probleme in den Sicherheitsbehörden, deren unterschiedliche Arbeitsweisen, unscharf definierte Zuständigkeiten, Personalmangel bei Polizei und Verfassungsschutz. Was in der Summe heißt: Der Staat hat schwerste Fehler gemacht!

87 Definitionen von Terrorismus

Die macht er noch immer: Was Terrorismus ist, definieren Baden-Württemberger anders als Niedersachsen und wieder anders Sachsen. Gefährder, also potenzieller Attentäter, ist in Berlin jemand anderes als in München, Aachen oder an den Grenzen, die die Bundespolizei sichert. Sind für den Antiterrorkampf schon in Deutschland Basisbegriffe nicht gemeinsam definiert, fehlen sie erst recht auf europäischer und globaler Ebene: mindestens 87 Definitionen von Terrorismus zirkulieren aktuell um die Erde.

Da helfen die beschwichtigenden Aussagen einzelner Abgeordneter nicht weiter, allein durch die Arbeit der Untersuchungsausschüsse sei ja schon das eine oder andere verändert worden. Das dient der Entschuldigung, nur wenig konkret zu tun, was Polizei und Nachrichtendienste in die Lage versetzt, nach einheitlichen Vorgaben zu handeln, vom selben zu sprechen und Attentate möglichst zu verhindern. Und es verdreht sich spätestens dann ins Zynische, ins Menschenverachtende, wenn der nächste Anschlag Tote und Verletzte fordert.

In einer Zeit, in der islamistisch motivierte Terroristen am Hindukusch, im Irak und in Afrika – motiviert durch den Sieg der Taliban in Afghanistan – vor Kraft kaum laufen können. In der sie den Cyberraum, das Internet, für sich entdeckt haben: zur Desinformation, Manipulation, zur Aufklärung und als Tatmittel. Eine Zeit, in der sie sich dezentraler strukturiert haben und auf eine große Zahl von in Syrien, Somalia und im Irak gestählten Kriegsrückkehrern – unter ihnen Hunderte deutsche Frauen und Männer – zurückgreifen können. In der Terrororganisationen ungeachtet ihrer jeweiligen rechten, linken oder islamistischen Überzeugung untereinander Wissen und Taktiken – auch über biologische, chemische und atomare Tatmittel – austauschen. Eine Zeit, in der Deutschland auf Hinweise vor allem aus den USA angewiesen bleibt, um Anschläge zu verhindern.

Gesetze müssen angepasst werden

Es stellt sich nicht die Frage, ob Europa und Deutschland angegriffen werden, sondern nur wann, mit welchen Mitteln und Folgen. Jetzt müssen mehr Stellen bei Polizei und Verfassungsschutz her, Fachlaufbahnen beim Staatsschutz. Müssen Gesetze so angepasst werden, dass Ermittler in Kiel dasselbe verstehen und tun wie in München und Freiburg. Muss Terrorismus und der Kampf dagegen an staatlich großzügig geförderten Lehrstühlen an Eliteuniversitäten erforscht und diskutiert werden. Das wäre 1827 Tage nach dem Attentat von Berlin ein würdiges Gedenken an die 13 Toten und 67 Verletzten.