Abgang: in Paris ist für Angelique Kerber schon in der ersten Runde Schluss. Foto: imago/Paul Zimmer

Die 32-jährige Tennisspielerin Angelique Kerber läuft ihrer Form hinterher – und weiß nicht so recht, warum. In Paris scheitert sie schon in Runde eins.

Paris/Stuttgart - Es gibt diese Tage, an denen man am besten im Bett geblieben wäre. Angelique Kerbers erster Spieltag bei den French Open in Paris war solch ein gruseliger Tag. Regen, viel Tristesse und eine ewig lange Wartezeit. Nach zwei Aufwärmphasen geht es so um 20 Uhr dann endlich auf den Platz. Da ist man womöglich schon müde und genervt, bevor es richtig losgeht. Und dann steht da die unbekannte Gegnerin Kaja Juvan aus Slowenien auf der anderen Seite des Platzes. 19 Jahre jung, hellwach und jederzeit bereit, ihre große Chance zu nutzen.

Angelique Kerbers Gesichtsausdruck hatte es verraten: Sie wollte in diesem Moment wohl überall sein, nur nicht auf Court 14 der Tennisanlage Roland Garros. Auch ihre Körpersprache auf dem durch die Nässe ziemlich tief und schwer gewordenen Sandplatz führte dazu, dass Kaja Juvan nach der Partie die Welt nicht mehr verstand und große Augen machte. Sie hatte eine dreimalige Grand-Slam-Siegerin in weniger als einer Stunde mit 6:3, 6:3 aus dem Turnier gekegelt. Eine 32 Jahre alte arrivierte Tenniskraft, die auf dem Platz konzept- und lustlos wirkte. Ach, wäre Angelique Kerber an diesem Tag tatsächlich nur im Bett geblieben.

Das brutale Aus

Die Verwunderung über dieses frühe und brutale Ausscheiden der besten deutschen Spielerin war durchaus spürbar. „Ich bin ein bisschen schockiert“, sagte Barbara Rittner, die Damenchefin des Deutschen Tennis-Bundes in ihrer Funktion als Fernsehexpertin. So geschockt war Angelique Kerber nach ihrem unbefriedigenden Auftritt dagegen nicht. „Es ist ein ganz komisches Jahr, es ist ein ganz anderes Jahr“, sagte die Kielerin und meinte damit dieses unwirkliche 2020, in dem eine Pandemie die Welt so kolossal verändert. Es sollte keine Ausrede für ihr dürftiges Tennis sein, das sie spielte, aber was sie meinte, war klar: Man hätte nicht nur an diesem Tag im Bett bleiben können – im Prinzip gilt es für das ganze Jahr.

Diese Niederlage der deutschen Tennisqueen von einst, sie könnte sich nachhaltig auf den weiteren Karriereverlauf von Angelique Kerber auswirken. Macht sie weiter? Hört sie auf? Was motiviert sie noch? In Paris zu gewinnen wäre eines ihrer letzten großen Ziele gewesen, denn die anderen drei Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Wimbledon und New York gewann sie schon. Der Versuch, den persönlichen Grand Slam im Herbst der Karriere doch noch einzutüten, er misslang, obwohl die Deutsche vor dem Turnier noch ihre gute Form beteuerte. Ihr Erstrundenaus zuvor beim Sandplatzturnier in Rom ließ jedoch andere Schlüsse zu.

Wie geht es weiter?

Wie es weitergeht, ließ Kerber offen. „Ich habe für Ostrau noch gemeldet, ob Turniere dazukommen, wie jetzt die nächsten Wochen bei mir aussehen, kann ich momentan nicht beantworten“, sagte sie etwas einsilbig. Nach den Ostrava Open vom 19. bis 25. Oktober findet auf der Frauentour noch im Dezember ein Turnier in Limoges statt, womöglich kommt noch eines in Linz dazu. Die Männer haben noch mehrere hochkarätige Veranstaltungen, bei den Frauen ist der Terminkalender dagegen wegen der Corona-Krise extrem ausgedünnt. „Ich nehme, was sie uns geben, und das ist momentan nicht so viel“, sagte die Deutsche und berichtete ähnlich lustlos über ihre Pläne, wie sie zuvor auf dem Platz gestanden war.

Angelique Kerbers Karriere verlief in erstaunlichen Wellenbewegungen. 2016 gewann sie zwei Grand-Slam-Turniere und Olympiasilber – 2017 gelang ihr fast gar nichts. Nach diesem enttäuschenden Jahr trennte sie sich von ihrem Trainer Torben Beltz und nahm Wim Fissette unter Vertrag. 2018 gewann sie die US Open, ehe sie 2019 zwar oft gut spielte, aber kein Turnier für sich entscheiden konnte, auch weil sie von Verletzungen geplagt wurde. Wieder trennte sie sich von ihrem Coach, diesmal musste Rainer Schüttler gehen. Für 2020 verpflichtete sie Dieter Kindlmann, von dem sie sich nach kurzer Zeit in diesem Sommer wieder trennte. Und so kehrte sie wieder zu Torben Beltz zurück. Die Zusammenarbeit mit ihm führte zur Achtelfinalteilnahme zuletzt bei den US Open. Diesem kleinen Zwischenhoch folgten nun die herben Rückschläge in Rom und Paris.

Viele Trainerwechsel

Trainerwechsel, Verletzungen, Formkrisen – und immer wieder die Ankündigungen, ab jetzt werde wieder alles gut: Vermutlich ist Angelique Kerber inzwischen selbst von ihrer unruhigen Karriere gestresst. Es gibt Experten, die würden ihr am liebsten zum Karriereende raten. „Ich habe einfach nicht in meinen Rhythmus gefunden – solche Tage gibt es im Leben eines Sportlers“, sagte Kerber nach ihrem Aus in Paris und fügte noch hinzu: „Man muss halt lernen, damit umzugehen.“ Die große Frage aber ist, wie viel Lust sie auf solch einen Lernprozess mit 32 Jahren überhaupt noch hat.