Seine Spuren im Sand: Daniel Altmaier hinterlässt beim Turnier in Paris bisher mächtig Eindruck. Foto: AFP/Anne-Christine Poujoulat

Der Tennisprofi aus Kempen am Niederrhein steht beim Grand-Slam-Turnier in Paris völlig überraschend im Achtelfinale – und sieht sich noch lange nicht am Ende.

Paris/Stuttgart - Die Welt des Sports ist so facettenreich, unberechenbar und voller Überraschungen, dass es sich empfiehlt, mit Begriffen wie Wunder, Märchen oder Sensation zurückhaltend umzugehen. Absolut faszinierend ist die Geschichte, die Daniel Altmaier (22) gerade bei den French Open in Paris schreibt, aber allemal. Und extrem fesselnd dazu – weil niemand weiß, wie sie ausgehen wird.

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Der Tennisprofi aus Kempen am Niederrhein absolviert gerade sein allererstes Grand-Slam-Turnier, nie zuvor hatte er ein Match über drei Gewinnsätze bestritten. Den drei Siegen in der Qualifikation folgten in Roland Garros drei weitere im Hauptfeld, an diesem Montag trifft Daniel Altmaier im Achtelfinale auf den Spanier Pablo Carreno Busta. Schon jetzt hat er 189 000 Euro verdient, mehr als zuvor in seiner kompletten Karriere. Das alles könnte einen jungen Mann schon mal aus der Balance bringen, doch Altmaier bleibt klar, fokussiert, bei sich. „Ich wusste, dass ich meinen Weg gehen werde“, sagt er, „früher oder später.“

Aufgeben war keine Option

Ob die Erfolge von Paris in die Kategorie „früher“ oder aber eher zum Abschnitt „später“ gehören, liegt im Auge des Betrachters. Fakt ist: Experten haben in Altmaier vor Jahren das größte deutsche Talent neben Alexander Zverev (23) gesehen. Doch während der eine ziemlich flott in die Weltspitze kletterte, verschwand der andere in der Versenkung. 2018 flog Altmaier aus den ersten 400 der Weltrangliste, weil er Probleme mit der Bauchmuskulatur und der Schulter hatte, kaum trainieren und noch weniger spielen konnte. Es war ein verlorenes Jahr, Aufgeben aber trotzdem keine Option.

Altmaier glaubte an sein Potenzial, er sah eine Perspektive, und er hatte einen Plan: fit werden – richtig fit. Den vergangenen Winter verbrachte er in der argentinischen Heimat seines neuen Trainers Francesco Yunis, in Buenos Aires arbeitete er so hart wie nie – im Kraftraum und an der Grundlinie, mit einigen der stärksten und ausdauerndsten Sandplatzspezialisten. „Wer etwas erreichen will, der muss raus aus der Komfortzone“, erklärt Altmaier, „bei unserem Fitness-Programm wäre selbst Rocky Balboa zusammengebrochen.“

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Anschließend verdingte sich der Tennisprofi bei diversen Challenger-Turnieren in den USA und Mexiko, in Thailand und Australien. Während des Corona-Lockdowns trainierte er anschließend daheim weiter extrem intensiv, mit dem Schläger und Gewichten. Und bei den ersten Turnieren nach der Auszeit war er sofort wieder am Ball. „Kaum einer hat in diesem Jahr mehr Matches auf dem Buckel als ich“, sagt der 1,91 Meter große Rechtshänder, „nach der ganzen Maloche hat das Turnier in Paris auf mich erst mal wie eine Erholung gewirkt.“

Extrem gefährliche einhändige Rückhand

Das fühlt sich mittlerweile anders an, auch wenn sich Altmaier bisher noch nicht restlos verausgaben musste – in den sechs Duellen gab er nur einen Satz ab. Zugleich strahlt der Sohn einer Russin und eines Ukrainers neben einer großen physischen auch eine bemerkenswerte psychische Robustheit aus. Er vertraut in sein Können, ohne überheblich zu werden. Er ist zufrieden mit sich, ohne an Motivation zu verlieren. Er verkraftet den Druck, ohne im entscheidenden Moment zu locker zu sein. „Ich habe lange auf diesen Augenblick warten müssen“, sagt er, „jetzt ist er da – und ich bin sehr glücklich.“

Nun gilt es, das Momentum zu nutzen.

Bisher demonstriert Altmaier in Paris auch, was ihn spielerisch ausmacht. Er versucht stets, die Initiative zu ergreifen, zeigt aggressive und dennoch sichere Grundschläge. Am gefährlichsten für den Gegner ist seine einhändige Rückhand, die Beobachter wahlweise an Roger Federer oder Gustavo Kuerten erinnert. Beim überraschenden 6:2, 7:6, 6:4-Sieg am Samstag in der dritten Runde gegen den Weltranglisten-Achten Matteo Berrettini (Italien) konnte er sich auf seine Stärken verlassen, zu denen auch Ruhe und Geduld gehören – passend zu seinem liebsten Hobby: Daniel Altmaier ist leidenschaftlicher Angler.

Das Selbstvertrauen bleibt ihm erhalten

Der nächste große Fisch, der ihm im Stade Roland Garros unweit der Seine ins Netz gehen soll, heißt Pablo Carreno Busta (29). Der Spanier stand zuletzt bei den US Open in New York im Halbfinale, in dem er gegen Alexander Zverev verlor. Seine größte Qualität ist es, kaum Fehler zu machen. Was Altmaier dazu sagt? „Ich werde ihm ebenfalls nichts schenken!“

Dieser Satz spiegelt das Selbstvertrauen wider, das sich der Aufsteiger erarbeitet hat. Und das er, selbst bei einer Niederlage im Achtelfinale an diesem Montag, nicht verlieren würde. Schon jetzt ist er sich sicher, seine Geschichte nach dem Turnier in Paris fortschreiben zu können. „Es ist erst der Anfang“, sagt Altmaier, „nicht das Ende.“