Anna Schudt hat 22 Folgen lang die Kommissarin Bönisch gespielt. Foto: WDR/Bavaria Fiction/Thomas Kost

Anna Schudts Kommissarin Martina Bönisch im „Tatort“ aus Dortmund besaß noch viel Potenzial. Darum kam der TV-Tod als Schock. Wann gibt’s das schon noch?

Stuttgart - Schon der amerikanische Country-Querschläger Hank Williams hat in einem jener widerborstigen Lieder, die ihn zur Legende gemacht haben, gewarnt: „Aus dieser Welt schafft’s keiner lebend raus!“ Für die Ermittler aus dem „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Kosmos der ARD gilt das noch viel strenger als für uns Zivilisten. Kein Team bleibt ewig beisammen, und wer gehen muss, verlässt die Reihe meist im Sarg. Im Normalfall wird das multimedial vorbereitet, um nicht zu sagen: durchgekaut. Es wird so viel spekuliert, dass man auf die tatsächliche Abschiedsfolge dann kaum noch Lust hat.

Viele mussten ein Geheimnis wahren

Um so größer also die Überraschung – Schock war dann ein viel benutztes Wort in den sozialen Netzwerken – über den gewaltsamen Tod einer zentralen Figur der Dortmunder „Tatort“-Reihe. Die Kommissarin Martina Bönisch, 22 Folgen lang von Anna Schudt gespielt, lag am Ende von „Liebe mich“ erschossen da, neben ihr der fassungslose Kommissar Faber (Jörg Hartmann), der schon länger in sie verliebt war. Der WDR hat hoch gepokert, denn TV-Kritiker dürfen die Sonntagabendkrimis im Ersten meist schon Wochen vorab sehen, um darüber schreiben zu können. Im Zeitalter des erbarmungslosen Kampfs um Online-Aufmerksamkeit, um klickträchtige Aufreger und um die Twitterblase aufmischende Exklusivmeldungen ist es alles andere als selbstverständlich, dass ein Geheimnis gewahrt wird.

So aber konnte Anna Schudts Engagement beim „Tatort“ genau den Abschluss finden, den es verdient hatte: einen, der die Zuschauer noch mal anpackte. Ihr sei, sagt die 47-jährige Schauspielerin, der Abschied sehr schwer gefallen. Aber man hört heraus, dass sie nicht gegen ihren Willen hinausgeschrieben wurde. „Martina Bönisch zu spielen“, sagt Schudt, „hat in den letzten zehn Jahren einen großen Platz in meinem Herzen eingenommen. Aber ich finde, dass es nach den 22 intensiven Einsätzen der toughen Kommissarin mit all ihren Stärken und Schwächen nun an der Zeit ist, Lebewohl zu sagen. Für mich entsteht damit Raum für Neues, auf das ich mich sehr freue.“

Raum für ganz andere Projekte

Raum für Neues – das ist fast ein wenig unglücklich formuliert. Denn Schudt war schon bislang nicht auf den „Tatort“ festgelegt, auch nicht auf andere Kommissarinnenrollen im unüberblickbaren Krimigewucher der Abendprogramme. Die 1974 in Konstanz Geborene war nicht nur dort am Theater aktiv, sie stand schon in München, Berlin und Düsseldorf auf der Bühne und hat sich in den vergangenen Jahren in einer Vielzahl besonderer TV-Produktionen spannend weit vom Bönisch-Typ weggespielt, in „Eltern allein zuhaus: Frau Busche“, „Aufbruch in die Freiheit“, „Klassentreffen“ und „Ein Hauch von Amerika“ etwa. Für ihre Darstellung der halbseitig gelähmten Komikerin Gaby Köster in „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ im Jahr 2017 hat Schudt den International Emmy Award erhalten. Sie bekommt also gar nicht Raum für Neues – nur mehr Raum für jene besonderen Projekte, in denen sie bislang schon glänzt.

Keine Frage, Bönisch war eine interessante TV-Polizistin, immer ein bisschen aus der Balance, was sie hinter Härte versteckte, zunehmend frustriert, ein Charakter in Entwicklung, die Art Figur, die nicht jede Schauspielerin hätte lebendig halten können. Ein paar der „Tatort“-Ermittler, sind, wie man auch dann zugeben muss, wenn man sie noch mag, längst starre Fossile ihrer selbst. Der Preis dafür, gute, flexible Darstellerinnen zu haben, das müssen sich Bönisch-Freunde jetzt eingestehen, ist der, dass die auf anderes irgendwann neugieriger werden.