Die IG Metall bereitet die Tarifrunde vor. Das Bild zeigt Landeschef Roman Zitzelsberger bei einer früheren Kundgebung. Foto: dpa/Marijan Murat

Die kommende Tarifrunde steht unter schwierigen Vorzeichen. Gewerkschaftschef Roman Zitzelsberger skizziert seine Vorstellungen zur Strategie. Die Beschäftigten haben hohe Erwartungen. Sie hoffen, dass ihr Gehalt steigt – und es nicht nur Einmalzahlungen gibt.

Die IG Metall versucht, die hohen Erwartungen der Belegschaften an die kommende Tarifrunde zu dämpfen. Diese Erwartungen seien „enorm hoch“, vor allem bei Beschäftigten von Betrieben in einer günstigen wirtschaftlichen Lage, sagte Landeschef Roman Zitzelsberger in Stuttgart.

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Die jüngste Betriebsrätebefragung habe ergeben, dass das Hauptaugenmerk der Lohnpolitik klar einer tabellenwirksamen Entgelterhöhung gelte – also einer Steigerung, die nicht als Einmalzahlung geleistet wird, sondern in das reguläre Gehalt eingeht.

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Mit Blick auf die Stahlindustrie, für die die IG Metall eine Lohnerhöhung von 8,2 Prozent fordert, erklärte Zitzelsberger, er rate „dringend davon ab, dies als prägend für die Metall- und Elektroindustrie anzusehen“. Für jede Branche müsse die Forderung mit Blick auf deren eigene Lage betrachtet werden. Die Stahlindustrie sei in der Lage, die gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten an ihre Abnehmer weiterzugeben; zudem verdiene die Branche exzellent, und die Firmen befänden sich alle auf einem hohen Niveau.

Große Bandbreite bei Umsatzrendite

In der Metall- und Elektroindustrie dagegen gebe es eine große Bandbreite, bestehend aus Firmen in einer sehr guten Lage und solchen in einer schwierigen Situation. So hat Mercedes im vergangenen Jahr eine Umsatzrendite von 12,7 Prozent erzielt, die Kfz-Sparte von Bosch dagegen nur 0,7 Prozent. Forderungen von Mahle an die Autohersteller, mit Zulieferern über eine Lastenteilung für die drastisch gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten zu verhandeln, hatte Mercedes eine Absage erteilt.

Trotz der extrem unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage innerhalb der Branche erteilte Zitzelsberger einer Tarifpolitik, die zwischen unterschiedlichen Betrieben stärker differenziert, eine Absage. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten träfen die Beschäftigen alle gleich, unabhängig davon, in welcher Lage sich das Unternehmen befinde. Sie bräuchten dringend mehr Geld zum Erhalt ihrer Kaufkraft, und die meisten Unternehmen könnten das auch problemlos aus ihren guten Gewinnen finanzieren.

Kein voller Ausgleich für Inflation

Einen vollständigen Ausgleich der Inflation könne die Tarifpolitik aber nicht leisten. Die geopolitischen Ursachen lägen außerhalb ihrer Reichweite und träfen zudem auch die Betriebe. Was die Tarifpolitik leisten könnte, sei eine Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die Kaufkraft der privaten Haushalte sei ein stabilisierender wirtschaftlicher Faktor, zu dem die Tarifpolitik beitragen könne. Der Lohnanteil an den Kosten liege in vielen Firmen unter 20 Prozent, so dass keine Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale bestehe. Die hohe Inflation sei zudem entstanden, ohne dass dem Lohnsteigerungen vorausgegangen seien.

Am 30. Juni will die IG Metall ihre Forderung beschließen, spätestens am 16. September sollen die Tarifverhandlungen beginnen. Zitzelsberger verweist zugleich darauf, dass die wirtschaftliche Lage unberechenbar geworden sei. So beeinträchtigten der Krieg und die Coronabekämpfung in China die Lieferketten und trieben die Preise in die Höhe, zudem drohe ein Gasembargo. Derzeit gebe es einen ganzen „Schwarm schwarzer Schwäne“, so der IG-Metall-Chef. Als schwarze Schwäne gelten Ereignisse, die als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt werden – und dann doch eintreten.

Auswirkungen des Krieges

Bei der Betriebsrätebefragung berichteten 61 Prozent der Befragten von guten oder sehr guten Auftragseingängen, nur 14 Prozent gaben eine negative Einschätzung ab. Enorm hoch sind laut Umfrage die Auswirkungen des Krieges: 92 Prozent berichten über steigende Materialkosten, 90 Prozent über steigende Energiekosten und 85 Prozent über eine schlechtere Teileversorgung.

Selbst Betriebe mit einem hohen Auftragsbestand könnten in eine schwierige Lage geraten, sagte Zitzelsberger. Wegen fehlender Teile und unzuverlässiger Lieferketten könnten die Aufträge oft nicht abgearbeitet werden, was „eins zu eins gegen die Unternehmensfinanzierung“ laufe. Denn Materialien für das Aufrechterhalten der Produktion müssten trotzdem gekauft, bezahlt und gelagert werden. Stocke dann wegen ausbleibender Lieferungen anderer Teile die Produktion, entstehe ein Finanzierungsbedarf für die nicht benötigten Teile, der zudem nicht durch Verkaufserlöse gedeckt werden könne. In dieser Situation könne „auch bei vollen Auftragsbüchern eine wirtschaftliche Schieflage entstehen“.