Weil der SWR drastisch spart, verliert Mathias Richling nach 28 Jahren seine TV-Show. Erstmals äußert sich der Kabarettist öffentlich dazu und gewährt in seinem neuen Buch „Enttarnt“ private Einblicke in sein Leben.
Als der damalige SDR dem Stuttgarter Satiriker Mathias Richling, der sich zuvor in der „Abendschau“ in der Rolle des Dauerglotzers („Dass Fernseh’ bled macht“), im „Scheibenwischer“ oder auf einem sinkenden Bett mit Kondom-Attacken gegen den Papst bereits als kameratauglich erwiesen hatte, 1996 eine eigene TV-Sendung anvertraute, hieß diese noch „Zwerch trifft Fell“. Sie hätte auch „Maskenbildner trifft Kabarettist“ heißen können. Denn die Maske spielte von Anfang an eine zentrale Rolle.
Dank einer Berufsgruppe, die mit Perücken und Make-up zaubern kann, durfte der Meister der Parodie 28 Jahre lang in jeder Show mehrfach auch optisch zu jener Person werden, die er darstellte, um sie zu entlarven. Man nannte den 1953 in Waiblingen geborenen Richling deshalb den „Mann der tausend Gesichter“. Die Maskerade ist Ende des Jahres nun aber vorbei. Der SWR streicht und kürzt drastisch – auch die „Mathias-Richling-Show“ ist betroffen.
In 28 Jahren ist es beim TV-Team zum Ritual geworden, dass nach jedem Dreh, den der Kabarettist mit fremdem Gesicht gemeistert hat, ein Selfie gemacht wird. Darauf hält der verkleidete Mathias Richling ein Originalfoto der parodierten Person in die Höhe. 230 dieser Fälschung- und Original-Perspektiven sind in dem Buch „Enttarnt“ zu sehen, das zum Abschied der Show erscheint – für seine Fans ist dies quasi ein Archiv. Am 10. Dezember wird die allerletzte Folge ausgestrahlt. Unter den Fotos im Buch erzählt der 71-Jährige in Schnipseln Anekdoten, erstmals sogar über ganz private Dinge.
Für die Rente ist einer wie Richling nicht geschaffen
Auch wenn ihm die TV-Show genommen wird, denkt Richling nicht ans Aufhören – für die Rente ist er nicht geschaffen. Ohne eigene Fernsehsendung wird man ihn künftig noch öfter auf der Bühne sehen – auch da parodiert er, aber halt nicht in Verkleidung. Zwar trifft ihn der Verlust der Maskerade, wie man spüren kann, aber allzu wehmütig werden will er nicht. Wenigsten habe er – im Gegensatz zu anderen Kollegen – nicht erst aus der Zeitung erfahren, dass seine Sendung weggespart wird. „Man hat mit mir darüber schon vor einem Jahr geredet“, sagt der Stuttgarter, „in meinem Fall hat sich der SWR fair verhalten.“
Der Sender bot ihm an, das kostengünstige YouTube-Format „Richling backstage“ fürs Netz zu produzieren – aber ohne Verkleidung, Kostümbildner und Requisite. Denn den Sparmaßnahmen fallen auch etwa 200 000 Requisiten zum Opfer. Aufgezeichnet werden die kurzen Backstage-Szenen im Renitenztheater oder bei der Württembergischen Landesbühne in Esslingen. Ganz unglücklich ist er damit nicht, „keiner unter 50 schaut mehr lineares Fernsehen“, sagt der Satiriker, „bei YouTube komm’ ich oft auf wesentlich mehr Zuschauer, als ich dies mit der TV-Show schaffe.“
„Den Manuel Hagel kann ich nicht parodieren, solange ihn keiner kennt“
Dennoch missbehagt ihm, dass der Sender für die älteren Zuschauer, die dem Fernsehen noch geblieben sind, immer mehr Angebote streicht. Der 71-Jährige warnt vor Altersdiskriminierung. In seiner langen Karriere hat er viele Politiker kommen und gehen gesehen – er selbst, der Kabarettist, ist immer geblieben, jetzt allerdings ohne eigene Show.
Als Nachfolger von Winfried Kretschmann, den Richling samt Thomas Strobl brillant am Tisch (der Chef steht, der Vize sitzt) verkörpert hat, ist Cem Özdemir im Gespräch. Traut er dem Landwirtschaftsminister zu, dass er den Regierungschef in der Villa Reitzenstein beerben kann? „Özdemir hat nicht das Format von Kretschmann“, antwortet Richling.
Dann läuft es also auf den jungen CDU-Landeschef Manuel Hagel hinaus? Dieser sei ja noch nicht mal tauglich für Kabarett, erwidert Richling. Parodieren könne er nur Politiker, die das Publikum kenne. „Den Hagel kennt niemand.“
Ein Stück weit enttarnt sich der Richling nun selbst
Wie sich das Kabarett in all den Jahren verändert hat, erläutert der Satiriker am Beispiel Ricarda Lang: „Es reicht, ihren Namen zu nennen – und alle lachen ohne Pointe.“ Das sollte der Polit-Elite des Landes zu denken geben, wenn das Volk allein die Erwähnung einer Protagonistin lustig findet.
In seinem neuen Buch „Enttarnt“ enttarnt sich Mathias Richling erstmals ein stückweit selbst. Er erzählt darin private Anekdoten, die zwar nicht einem Tagebuch entnommen sind, wie man meinen könnte, die er aber in seiner über 50-jährigen Bühnentätigkeit regelmäßig aufgeschrieben hat. Man erfährt köstliche Begebenheiten etwa mit dem früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel oder dem früheren Bundespräsidenten Johannes Rau oder mit Alfred Biolek, der ihn zum Essen eingeladen hatte. „In der Küche bin ich oft hemmungslos“, habe Bio gesagt, „aber zwischendurch wasch’ ich mir doch mal die Hände.“
Und er macht in „Enttarnt“ klar, dass es doch nicht allein das Kabarett ist, in das er verliebt war oder ist. Zu seinem Beziehungsstatus hat er in all den Jahren nichts gesagt (wir haben auch nicht gefragt), weil er doch kein Cem Özdemir ist, der eine neue Beziehung medial verbreiten lässt, um Ruhe zu haben. Auf drei Seiten schreibt Richling über seine Jugendliebe. Lisa heißt sie, natürlich ist ihr Name im Buch geändert. In der Schule hat er sie „heiß geliebt“, eine „schöne, unaufgeregte Freundschaft“ mit ihr bis zum Abitur geführt. Dann trennten sich zum Studium die Wege.
Viele Jahre später kündigte Lisa an, sein Gastspiel in ihrer neuen Heimatstadt mit dem Ehemann zu besuchen. Nach der Vorstellung lud die Jugendliebe Richling und seinen Mitarbeiter zu sich nach Hause ein, um die Freude über das Wiedersehen zu intensivieren. Da ging es Schwäbisch kreuz und quer. „Der „Seggl vom Sardder“ erweist sich als „Der Ekel“ von Sartre – weil es die Vergangenheit oft nur bruchstückweise in die Gegenwart schafft.
Richling wird auch ohne TV-Show wachsam bleiben, sich scharfzüngig einmischen, die Kunst der Satire einsetzen, damit sein Publikum die eigene Ohnmacht, man könne ja doch nichts ändern, überwindet. Durchaus Sinn ergebe es, wenn der SWR seine Zukunft im jungen Publikum sucht, findet der Kabarettist: „Denn in dieser schnelllebigen Zeit wird natürlich auch die Jugend ganz schnell alt, weshalb die eigentliche Zielgruppe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks rasch wieder erreicht ist.“