In diesen Tagen erscheint „Let Yourself Be Loved“, ihr neues, insgesamt fünftes Soloalbum – ein Soul-Manifest, ... Foto: StZ Magazin/Jens Schmidt

Joy Denalane macht sich wenig Gedanken über Mode. Vielleicht, weil sie alles so tragen kann, als wäre es für sie geschneidert. In neun Kapiteln erzäht sie von ihrem Leben mit Schönheitsidealen, Ikonen, ihrem gewagtesten Stilwechsel und Traum-Items.

Berlin/Stuttgart - Wahrscheinlich kann Man die Sängerin Joy Denalane überall hinsetzen – sie wird es in kurzer Zeit irgendwie schaffen, den Ort zu elektrisieren, ihn wie ihr ureigenes Territorium wirken zu lassen, wie ihren ganz natürlichen Hang-out. In den frühen 90ern hat sie das mit den Clubs ihrer Heimatstadt Berlin gemacht, bald darauf mit den Tonstudios und Bühnen Stuttgarts, wo ihre Karriere als weibliche Soul-Stimme der Hip-Hop-Crew Freundeskreis sowie des Kollektivs FK Allstars richtig losging.

Man sah sie 2002 im Video zu ihrem ersten Solohit „Im Ghetto von Soweto (Auntie’s House)“, wie sie vor Ort auf der Spur ihrer väterlicherseits südafrikanischen Familie war. Und auf diesen Seiten ist es die Schorfheide im Norden des Landes Brandenburg, ein beliebtes Ausflugsgebiet fürs großstadtgeplagte Berlinvolk, das durch Joy Denalanes Präsenz zum unkonventionellen, glamourös zerzausten Open-Air-Fashion-Spot wird.

„Wenn ich eines nicht mag, dann ist es Shoppen“

In diesen Tagen erscheint „Let Yourself Be Loved“, ihr neues, insgesamt fünftes Soloalbum – ein Soul-Manifest, das im Licht der jüngsten Debatten über Alltagsrassismus und Solidarität innerhalb der People-of-Colour-Communitys mit viel Bedeutsamkeit aus dem Startblock kommt. Manche Aspekte von Joy Denalanes Persönlichkeit entziehen sich dagegen der klaren Artikulation und Argumentation: die Rolle, die Mode und Style als manchmal individuelles, manchmal kollektives, oft rebellisches Statement in ihrem Selbstverständnis spielen. Genau davon erzählt sie uns hier – in neun Kapiteln.

Meine Momente als Model

Für Modefotos wie diese hier zu posieren, ist etwas, das ich ab und zu richtig genießen kann. Da ich in meinem Privatleben nur selten genug Zeit finde, um mir allzu viele strategische Fashion-Gedanken zu machen, ist es eine herrliche Erfahrung, mit Stylisten zu arbeiten, die tolle Ideen für mich mitbringen. Auch in meinen Musikvideos finden sich überall solche Mode-Statements, wenn auch vielleicht nicht so konzentriert wie bei Beyoncé oder Lady Gaga. Mode hängt für mich so oder so immer eng an der Musik: Mein neues Album „Let Yourself Be Loved“ zum Beispiel ist eine Hommage an den Soul und Funk der 70er- und 80er-Jahre, mit dem ich aufgewachsen bin – und hierzu gehörten auch immer die entsprechenden Outfits. Schon mit vier Jahren habe ich in den Schallplatten meines Vaters gestöbert und im Wohnzimmer für die Familie den DJ gespielt. Wie ich die Platten ausgewählt habe? Ich nahm die, deren Cover mir am besten gefielen. Die Farben, die Designs, die Protagonisten.

Meine ersten Ikonen

Am meisten fasziniert hat mich lustigerweise eine Gospelplatte, „Amazing Grace“ von Aretha Franklin. Sie trägt auf dem Foto einen Turban und ein Gewand mit außergewöhnlichen Prints, unkonventionell, ganz anders als die sexy, juicy Styles, die ich sonst auf den Plattenhüllen sah – ich fragte mich, woher diese Frau wohl kommt. Mein anderer Favorit: Michael Jackson. Auf der Rückseite des Albums „Off The Wall“ sieht man, wie die weißen Socken in Jacksons Schuhen leuchten. Stundenlang starrte ich auf das Bild und fragte mich, wie er das wohl machte. Hatte er Glühbirnen in den Strümpfen? Eines wusste ich schon damals: Das wollte ich auch.

Mein erstes Traum-Item

Was aktuelle Mode betrifft, waren meine zwei großen Brüder lange die großen Vorbilder. Als ich ins Teenageralter kam, trugen beide von ihnen das „Allround“-Model von Adidas, klassisch, schlicht, mit hohem Schaft und den drei Streifen in Schwarz. Die musste ich unbedingt auch haben. Ich war gut darin, meinen Vater zu Dingen zu überreden, die er eigentlich nicht tun wollte – und so zogen wir eines Nachmittags los, um „Allrounds“ für mich zu besorgen. Das Problem: Ich hatte Schuhgröße 35 – aber kleiner als 39 gab es sie nicht. „Die passen überhaupt nicht“, meinte die Verkäuferin, mein Vater sah es ähnlich. Aber ich gab nicht nach, und so kaufte er mir diese viel zu großen Schuhe. Ich habe sie immer mit Taschentüchern ausgestopft, was sehr albern aussah. Man sieht: Mein Fashion-Bewusstsein war schon früh vorhanden – ich ging sogar über Schuhgrößen!

Mein frühes Style-Universum

Später ging ich, wie viele Menschen seit den 80ern, durch verschiedene Fashion-Phasen. Da gab es die Prince-Zeit voller Paisleymuster. Dann die Vintage-Phase, in der meine Freundinnen und ich regelmäßig im legendären Kleidermarkt Garage in Schöneberg die Secondhand-Klamotten für 25 Mark pro Kilo kauften. Und natürlich die Hip-Hop-Zeit, in der es eminent wichtig war, bestimmte Kleidungsstücke zu besitzen, weil sie wie Bekenntnisse waren. Basketball-Outfits von NBA-Stars wie Michael Jordan oder Patrick Ewing zum Beispiel. Speziell unter Ewings Namen gab es großartige, glänzende Sportjacken, in Rot-Blau oder Weiß-Hellblau-Orange, und tolle weiße Sneakers mit orange-hellblauen Streifen – dazu natürlich den Kangol Hat und die Cazal--Brille. In meinem Schüler-Nebenjob als Eisver-käuferin musste ich ganz schön schuften, um mir das alles leisten zu können.

Mein erstes Bühnen-Outfit

Den allerersten Auftritt als Musikerin hatte ich im Oktober 1993 im Kreuzberger Jugendzentrum Naunynritze, um die Ecke vom Kottbusser Tor. 20 war ich da, meine Band hieß Culture Roots, und ich sang meine ersten selbst geschriebenen Songs, funky und soulful, stilistisch noch ein wenig diffus. Wie lange ich überlegt habe, was ich dazu anziehen soll? Keine Ahnung. Was ich schließlich anhatte? Weiß ich auch nicht mehr. Ich habe für den Anlass sicher etwas Besonderes konzipiert – aber so speziell, dass ich es heute noch wüsste, war es wohl nicht.

Meine Einkaufsroutine

Die kann ich schnell und übersichtlich beschreiben: Es gibt keine! Ich liebe Mode, schaue mir sie gerne an, habe natürlich auch einen vollen Kleiderschrank. Aber wenn ich eines nicht mag, dann ist es Shoppen. Es langweilt mich. Ich habe selten die Muße, in die Stadt zu fahren, nach tollen Sachen zu schauen, mich inspirieren zu lassen. Wenn ich weiß, was ich will, oder in bestimmte Läden gehe, die ich sehr gut kenne, ist es zumindest erträglich, aber auch das ist eher die Ausnahme bei mir. Meine Shopping-Aversion gilt übrigens auch für andere Produkte und Bereiche. Das Einzige, was ich gerne mal kaufe, ist Kunst. Das sind allerdings besondere Momente, und auch sie haben natürlich Seltenheitswert.

Mein gewagtester Stilwechsel

Streng genommen war das ein musikalischer. Im Video „Mit dir“ von Freundeskreis, das 1999 den eigentlichen Start meiner Karriere sowie den Beginn meiner Freundschaft mit Max Herre bedeutete, gibt es nach rund einer Minute einen stilistischen Knacks: Da kippt der Song von einem eher konventionellen Radio-Soul-Stück in einen experimentellen, freigeistigen Beat hinein. Max und ich haben das „den R ’n’ B-Moment“ genannt – und uns damit viel Ärger eingehandelt. Wir waren mit einem kleinen Filmteam auf die Insel Santorin gereist, drehten dort und entschieden eigenmächtig, die komplexere, weniger eingängige Version des Songs als Hauptgrundlage für das Video zu nehmen. Zu Hause in Deutschland ist die Plattenfirma völlig ausgerastet und fragte, ob wir wahnsinnig geworden wären. Dem Erfolg von „Mit dir“ hat es offenbar nicht geschadet.

Mein Leben mit Schönheitsidealen

Immer wieder hört und liest man davon, wie Social Media und Castingshows unerträgliche Anforderungen an junge Frauen aufgestellt hätten, was Körperideale und Beauty-Disziplin betrifft. Trotzdem schadet es nicht, auch hier das große Ganze zu sehen: In den 90ern gab es die Supermodels, schon damals war der Druck immens, viele hatten mit Magersucht und ähnlichen Krankheiten zu kämpfen. Natürlich haben Instagram und die Selfiekultur das Problem auf eine neue Ebene gehoben, die eigentlichen Ursachen liegen für mein Empfinden jedoch im Credo unserer Leistungsgesellschaft. Wir sehen überall um uns herum das Streben nach Gewinnmaximierung, nach Wettbewerb, nach Wachstumssteigerung – ist es da ein Wunder, dass junge Frauen diese Gedanken verinnerlichen und auch auf ihren Körper beziehen? Es reicht nicht, Social Media zu kritisieren. Wir müssen viel mehr unser gesellschaftliches Klima ändern.

Meine Rolle als Rollenmodell

Mir ist klar, dass ich – mit meiner Geschichte und Reichweite – im Diskurs über Style und Schönheitsideale eine exponierte Position einnehme. Ob ich eine bestimmte Botschaft vermitteln will? Ich will mir selbst so nah wie möglich bleiben, mich nicht verstellen, keine Rolle spielen. So funktioniert für mich das Dasein als öffentliche Person am besten. Ich verlasse mich auf meine Intuition, muss keine umständlichen Erklärungen entwerfen, warum ich etwas so oder so mache. Manche Leute sind von dieser Form von Direktheit überfordert. Aber das ist nun mal mein Lifestyle-Grundsatz, abstrakt formuliert: keine Angst zu haben vor Widerstand und Konfrontation. Und dasselbe erwarte ich vom Rest der Welt.